Stellungnahme zum „Offenen Brief: Gesetzentwurf zum Schutz vor Behandlungen zur Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen „Geschlechtsidentität” vom 26. April 2020

Als queeres Jugendnetzwerk haben wir uns sehr über das Verbot von Konversionsmaßnahmen gefreut, welches der Gesetzgeber am 07. Mai verabschiedet hat und das nicht nur die sexuelle Orientierung, sondern auch die Geschlechtsidentität von Kindern und Jugendlichen schützt.

Ebenso bestürzt uns der offene Brief vom 26. April, in dem eine Gruppe von selbsternannten Expertinnen aus dem pädagogischen und psychotherapeutischen Bereich sowie die Geschäftsführerin und Co-Geschäftsführerin von Terre des Femmes den Gesetzgeber dazu aufforderten, den Zusatz „Geschlechtsidentität“ aus dem Gesetzentwurf zu streichen.

Wir, als Jugendnetzwerk Lambda betonen, wie wichtig es ist, dass trans* Jugendliche geschützt werden. Trans* Kinder und Jugendliche gehören zu dem vulnerabelsten Teil unserer Community und sind besonders von Diskriminierung und Stigmatisierung betroffen.

Eine Studie belegt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass trans* Jugendliche Suizid begehen, 5.87-mal höher liegt, als bei ihren heterosexuellen Peers (homosexuelle Jugendliche 3,71 erhöht). 1

ILGA (International Gay and Lesbian Association) beklagt in ihrem am 14. Mai veröffentlichten, jährlich erscheinenden Rainbow Index, dass oppositionelle Gruppen in ganz Europa verteilt ein feindliches Klima in Bezug auf die Rechte für trans* Menschen kreieren würden.2 In Großbritannien wurde von der konservativen Gesundheitsministerin Liz Truss ein Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Gesundheitsversorgung von trans* Jugendlichen unter 18 einschränken würde. Außerdem sieht der Entwurf vor, dass für trans* Jugendliche das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht entscheidend ist, wenn sie sich in geschlechtergetrennten Räumen aufhalten. Damit würden trans* Jugendliche gezwungen, Umkleiden und Toiletten zu nutzen, welche nicht ihrem gelebten Geschlecht entsprechen.3 In Ungarn ist am 19. Mai ein Gesetz verabschiedet worden, dass trans* und inter* Menschen die Möglichkeit verwehrt, ihren Personenstand, d.h. den Geschlechtseintrag, in offiziellen Dokumenten zu ändern.4

Diese und viele andere Angriffe von reaktionären Kräften sind keine Neuigkeit für trans* Personen. Gerade deswegen ist es umso wichtiger, dass wir geschlossen als LSBTIQ-Community stehen und uns nicht ausspielen lassen, indem wir Gesetze schaffen, welchen einen Teil unserer Community schützen und einen anderen nicht. Trans* Jugendliche verdienen denselben Schutz wie schwule, lesbische, bisexuelle und andere queere Jugendliche. Ebenso sprechen wir uns dafür aus, dass (Cis-)Frauen in Solidarität mit trans* Personen stehen und wir einen Feminismus unterstützen, der intersektional und transinklusiv ist.

Schließlich kann festgehalten werden, dass die WHO (World Health Organization) schon etwas anerkannt hat, was verschiedene reaktionäre Akteur*innen nicht anerkennen wollen: Im neuen ICD-11, dem internationalen Diagnoseklassefikationssystem (International Classification of Diseases), wird die Definition von „Transsexualismus“ als „Störung der Geschlechtsidentität“ gestrichen und der Begriff „Geschlechtsinkongruenz“ aufgenommen.5 Damit ist ein wesentlicher Schritt hin zur Entpathologisierung und Entstigmatisierung von trans* Menschen, Kindern und Jugendlichen geleistet worden. Trans* Kinder und Jugendliche müssen nicht geheilt werden, sondern verdienen rechtlichen Schutz und gesamtgesellschaftliche Unterstützung.

Niklas Gudorf, Hannah Klaubert, Laurenz Kampa, Julius Bittner und Martin Taube

Bundesvorstand

Levi Rupp und Charlie Fischer

Stellvertretend für das Referat Trans*

*Nachtrag: Mittlerweile hat sich Terre des Femmes zu dem offenen Brief an den Bundestag vom 26. April auf eine, aus unserer Perspektive, nur unbefriedigende Art und Weise geäußert (Zur Stellungnahme). Wir, der Vorstand von Lambda Bund, sowie das Trans* Referat von Lambda Bund, würden eine öffentliche Distanzierung und Entschuldigung von Terre des Femmes begrüßen.


1 Krausz et al (2018): Estimating the Risk of Attempted Suicide Among Sexual Minority Youths. Jama Pediatrics. American Medical Association. Abrufbar unter: https://jamanetwork.com/journals/jamapediatrics/article-abstract/2704490?widget=personalizedcontent&previousarticle=0 (16. Mai 2020).

2  ILGA (2020): Rainbow Map 2020. Abrufbar unter: https://ilga.org/ilga-europe-rainbow-europe-map-index-2020 (16. Mai 2020).

3 PinkNews (2020): Liz Truss reveals ‘shocking’ plan to remove healthcare for trans youth, slammed as an ‘extraordinary’ attack on equality. Abrufbar unter: https://www.pinknews.co.uk/2020/04/23/liz-truss-trans-rights-gender-recognition-act-reform-healthcare-puberty-blockers-backlash/ (16. Mai 2020).

4 Queer.de (2020): „Zurück ins Mittelalter“: Ungarns Parlament verabschiedet transfeindliches Gesetz. Abrufbar unter: https://www.queer.de/detail.php?article_id=36161 (25. Mai 2020).

5 BPB (2018): Medizinische Einordnung von Trans*Identität. Abrufbar unter: https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/geschlechtliche-vielfalt-trans/245353/medizinische-einordnung-von-transidentitaet (16. Mai 2020).