Kommentar von Lis Walter
Über 50 Jahre nach den Protesten in und um das Stonewall Inn in New York hat sich vieles verändert: Aus Protesten gegen systematische Polizeigewalt sind weltweit Pride-Paraden entstanden, die sich mit der Kritik einer stetigen Kommerzialisierung und Entpolitisierung auseinandersetzen müssen.
Zwischen Institutionen und Konzernen wie Bayer und Paypal, die durch ihre Mitfinanzierung zu der Aufmachung der Pride, wie wir sie heute kennen, einen großen Teil beigetragen haben, fährt die Polizei mit buntbedruckten Einsatzfahrzeugen im Regenbogendesign und dem Aufdruck „Proud to be your friend“ durch die feiernden Menschenmassen. Eine Entwicklung, die Queers* spaltet.
„1969 ist nicht heute“ vs. „die erste Pride war ein Aufstand gegen Polizeigewalt und sie ist es immer noch“.
Sichtbarkeit queerer Polizist*innen vs. Rainbowwashing, also das Eintreten für queere Belange eher aus Imagegründen als aus echter Überzeugung. „Der Kampf gegen Diskriminierung und für Toleranz lässt sich nur gemeinsam erreichen“ vs. queer als herrschaftskritische und gesellschaftskritische — und demnach auch polizeikritische— Alltagspraxis. Wie geht das zusammen?
Unter Hashtags wie #stonewallwasariot und #nocopsatpride stellen sich diskussionsbereite Nutzer*innen Fragen nach der Vereinbarkeit von uniformierten Polizist*innen als Teilnehmende der Parade. Mit teilweise endgültigen Ergebnissen, wie 2018 in Toronto. Dort folgte die Polizei der Aufforderung der örtlichen CSD-Organisation und sagten ihre Teilnahme an der Parade ab.
Die Argumentation scheint einfach: Wer queere Menschen während des restlichen Jahres nicht ausreichend schützt und keinen positiven Beitrag für queeres Leben und seine Communitys leistet, soll auch nicht an der Pride-Parade teilnehmen. Zumindest nicht in Uniform und dementsprechend als Repräsentant*in einer Institution, die das cisheterosexistische und rassistische System schützt und stützt. Alles andere wäre widersprüchlich oder sogar heuchlerisch.
Gerade in den USA — durch den Tod von George Floyd und die Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung— hat die Debatte rund um die Reformierbarkeit der Polizei aufgrund ihrer historischen Gewalt- und Unterdrückungsgeschichte äußerste Präsenz.
In Deutschland liefen 2014 das erste Mal Polizist*innen in Uniform auf dem Berliner CSD mit.
Dabei stellten sie sich bewusst gegen die Anweisungen des Brandenburger Innenministeriums, die es den Beamt*innen aufgrund des Neutralitäts-gesetztes untersagt hatte, in Uniform an der Parade teilzunehmen. Erstmal sehr mutig. Damit wollten die Polizist*innen ein „öffentliches Zeichen setzen, dass die Polizei weltoffen und tolerant ist“, sagte Marco Klingberg, Vorsitzender des Landesverbands lesbischer und schwuler Polizisten.
Sichtbar machen, dass es auch queere Polizist*innen gibt, Stellung beziehen und gemeinsam gegen Diskriminierung kämpfen. Aber wie verhält es sich, wenn Polizist*innen selbst Teil dieses Prozesses der Diskriminierung queerer Leben und Identitäten sind?
Als ausführende Gewalt sind in den Polizeibehörden repressive Strukturen und Praktiken bis heute nicht verschwunden: Abschiebung — auch queerer Menschen in Länder, in denen ihnen deshalb die Todesstrafe droht —, Repressionen gegen queere Aktivist*innen, der Umgang mit trans* Menschen in Gefängnissen oder der Fakt, dass nur ein Bruchteil queerer Gewalt und Übergriffe bei der Polizei gemeldet, registriert und klassifiziert wird. (Die Dunkelziffer liegt bei 80-90 Prozent).
Wie lassen sich diese Praktiken, die es bestimmten Gruppen erschwert, in einer Gesellschaft einen gleichberechtigten Platz zu finden, mit einer Parade unter einen Hut bringen, die doch genau das will: Toleranz, Akzeptanz und Gleichberechtigung. Queerness hat historisch gesehen auch immer schon eine politische Dimension. Das Aufbegehren gegen Ungleichheiten und deren Verwobenheiten.
Daher ist es wichtig, die intersektionale Brille aufzusetzen und zu hinterfragen: Wer schützt hier wen und wie?
In jeden Fall haben Queers während und auf der Pride etwas zu feiern. Auch queere Polizist*innen. Jedoch ist es hinter historischen Ereignissen und aktuellen Geschehnissen wichtig zu hinterfragen, wieso Menschen sich als Teil einer staatlichen Gewalt repräsentieren müssen und nicht einfach als queerer Mensch — auf der Pride.
Tanzen geht aber allemal. Auch gemeinsam. Für das Streben nach globaler Gleichberechtigung und Akzeptanz, für Sichtbarkeit und Selbstakzeptanz und in Erinnerung an die radikale queere Geschichte, die es uns ermöglicht, dort tanzen zu können, wo wir es heute tun.
Aus der out! – Zeitschrift des Jugendnetzwerks Lambda e.V. (Herbst 2020, Nr. 53). Die ganze Ausgabe gibt es hier.
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Brian Kyed, Fotograf*in des Beitragsbilds (s.o.), schreibt dazu: I was walking around at Pride 2019 in New York to portrait interesting people and scenes. All of a sudden I was in the front of this Gay Officers parade which was such a joy to watch. I went for the middle to capture both the banner and all the happy and proud officers standing up for themselves.