Wie wir als queere Menschen mit den Stresssituationen des Alltags umgehen
Ein Interview über Queere Resilienz
von Oska Jacobs mit K* Stern
Content Notes: Stressbewältigung, Selbstfürsorgen, somatisches Training
„Resilienz beschreibt die menschliche Widerstandsfähigkeit im Umgang mit äußeren und inneren Belastungen.“
Diese Definition des Resilienzbegriffs ist auf K* Sterns Webseite, unter der Beschreibung einer Online Resilienzgruppe für Trans* und nichtbinäre Menschen zu finden. Ziel der Gruppe ist es, die eigene Widerstandsfähigkeit zu entdecken und sich mit Strategien und Methoden auseinanderzusetzen, die bei der Bewältigung von Herausforderungen hilfreich sein können.
K* Stern ist psychotherapeutische*r Heilpraktiker*in und Trainer*in für geschlechtliche Vielfalt. In K*s Praxis in Hamburg Altona begleitet K* queere Beziehungen als Paartherapeut*in und unterstützt Menschen darin, sich mit ihrer Geschlechtsidentität und ihrem Körper wohlzufühlen. Ein großer Teil von K*s Arbeit ist die Beschäftigung mit queerer Resilienz und die Weitergabe von Methoden, wie wir mit unangenehmen Situationen und Herausforderungen im Alltag umgehen können. An einem Nachmittag Anfang Dezember bin ich gemeinsam mit K* der Frage nachgegangen, wie wir als queere Menschen resilient werden können und warum K*s neu erschienene Broschüre vielleicht dabei helfen könnte.
Oska: Was fasziniert dich an dem Thema Resilienz?
K*: Eigentlich mag ich das Wort gar nicht so gerne. Denn oft verbergen sich hinter gut gemeinten Resilienz-Tipps und Übungen Selbstoptimierungsideen mit Leistungsanspruch, nach dem Motto „Wenn ich nur genug dies und das tue, dann wird es mir besser gehen“. Das lässt gesellschaftliche Strukturen außer Acht, die Umgebung der Person usw. Wenn Menschen Diskriminierung erfahren, müssen sie nicht als erstes an ihrer Resilienz arbeiten, sondern die Gesellschaft daran, dass sie weniger diskriminiert. Aber ich beschäftige mich einfach gerne damit, wie der Mensch am besten mit dem Leben an sich umgeht, gerade als nicht binäre Person in einer binären Welt. Das Lambda Motto „Her mit dem schönen queeren Leben“ ist mir sehr nah. Ich lerne auch viele Strategien von Menschen kennen, mit denen ich arbeite. Und ich denke oft: was hätte ich in meiner Selbstfindungsphase selbst gerne gehabt? Das kann ich alles an andere Menschen weitergeben.
Oska: Wie arbeitest du zum Thema Resilienz?
K*: Bei meiner Arbeit geht es viel darum, hilfreiche Menschen und gute Momente als Ressourcen zu begreifen. Wenn ein herausfordernder Schritt in deinem Leben ansteht, versuchen wir uns gemeinsam an ähnlichen Erfahrungen zu orientieren, die schon gut gemeistert wurden. Hast du schonmal was von dem „circle of control“ gehört? Das Modell hilft zu unterscheiden, ob mensch realistischerweise etwas an einer Situation ändern kann oder ob es klüger ist die Energie an einer Stelle zu sparen, um sie woanders einzusetzen. Ein Teil meiner Arbeit besteht darin, mit dir herauszufinden in welchen Bereich dein Anliegen gerade fällt. Wir gucken dann auch, wo du Spielräume nutzen kannst und wen du unterstützend ins Boot holen kannst.
Dabei arbeite ich viel mit Körperübungen zur Regulation des Nervensystems. Eine Möglichkeit, um Stress-Energie im Körper abzubauen ist eine Übung, in der es um das Schütteln der Hände geht. Ich leite auch gezielte Atemübungen an, die du zuhause und in akuten Situationen des Unwohl-Seins anwenden kannst.
Oska: Entgegen früherer Annahmen ist Resilienz nicht als Persönlichkeitsmerkmal zu sehen, sondern kann sich durch verschiedene Lebensphasen verändern. Was beeinflusst meine Resilienz? Wie schaffe ich es, auch in schwierigen Zeiten resilient zu sein?
K*: Ich finde es sehr entlastend und wohltuend mich in schwierigen Zeiten zu erinnern, dass ich ja schon resilient bin, wenn ich es bis heute und an diese Stelle meines Lebens geschafft habe. Da müssen ja in mir und meiner Umgebung Ressourcen gewesen sein. Die habe ich schon. Und dann kann es natürlich sein, dass mir noch etwas fehlt. Danach können wir suchen. Und ich finde es schwierig, wenn von außen Ansprüche an Queers herangetragen werden in einer diskriminierenden Gesellschaft unbedingt resilient sein zu müssen. Für mich selbst kann ich mir das Leben aber wie als Waage vorstellen, die es gilt in Balance zu halten. Es gibt z.B. Mikro- Aggressionen auf der einen Seite. Es kann hilfreich sein, bewusst von guten und stärkenden Erinnerungen und sogenannten „Mikrofreuden“ auf der anderen Seite der Waage zu zehren.
Oska: Ich finde es sehr einfach gesagt, den Anspruch loszulassen nicht resilient sein zu müssen, ein gewisser Leistungsgedanke findet sich ja in jedem Menschen. Wie schaffe ich es dann wirklich, den Anspruch, resilient zu sein, nicht zu einem Leistungsprinzip werden zu lassen?
K*: Als erstes würde ich sagen, mensch sollte versuchen, freundlich zu sich selbst zu sein. Ich finde das große Wort „Selbstliebe“ auch oft ein bisschen pathetisch. Manchmal reicht ja auch etwas Selbstmitgefühl und sich z.B. nicht fertigzumachen, wenn eins es nicht geschafft hat zum Sport zu gehen, obwohl es weiß, dass es ihm eigentlich guttut.
Oska: Gerade als queere Person bin ich jeden Tag mit kleinen Herausforderungen und Mikroaggressionen konfrontiert, die meine Widerstandsfähigkeit auf die Probe stellen. Zum Beispiel, wenn ich in öffentlichen Behörden meinen alten Namen nennen muss oder auf Familienfeiern meine Lebensweise kommentiert wird. Wie kann ich diesen Situationen gegenüber resilienter werden?
K*: Manchmal hilft es, zu erkennen, dass es einen Namen dafür gibt, nämlich Minderheitenstress. Also ein erhöhtes Stressniveau aufgrund von Diskriminierung oder Vorurteilen, das besonders Mitglieder stigmatisierter Gruppen betrifft. Manchmal hilft es, sich mit anderen Menschen darüber auszutauschen, die dir bestätigen können: Ja, du hast recht, das war eine diskriminierende Situation. Der zweite Schritt wäre dann, einen Umgang mit der Frustration zu finden, und daraus kannst du dann neue Energie ziehen.
Oska: Zum Schluss würde ich gerne noch auf dein neues Projekt eingehen. Im Januar hast du ein Büchlein zum Thema queere Resilienz herausgebracht. Worum geht es da?
K*: Das Büchlein ist in Zusammenarbeit mit der Landeskoordination Trans* NRW entstanden und heißt „Queerer Taschenanker für stürmische Momente“. Wir hatten viel Freude bei der Namensfindung! Das Heft enthält sowohl Input zum Thema Nervensystem als auch Körperübungen zum Anhören und direkt mitmachen. Was passiert, wenn ich gestresst bin? Und was kann ich jetzt machen? Wir greifen diese Fragen auf und bieten Ideen, die in schwierigen Momenten direkt anwendbar sind. Unsere Designerin Silke hat das ganze liebevoll gestaltet, du kannst deine eigene Galerie der (queeren) Freuden bekleben und ausmalen, eigene Ideen und Reflexionen reinkritzeln – dein eigenes Ressourcen-Heft draus machen.