von Theo

To check into a place
own a key to it
To go through a door
and know you can breathe
To know you can finally live
in here

let future be future
‘cause NOW lies ahead
let past be past
‘cause it’s gone
And it’s dead.

Ich erinnere mich an den Tag, ab dem Zuhause kein einziger Ort mehr für mich war. Ich saß in der Bahn und sah aus dem Fenster. Und ich spürte, wie mit jedem Kilometer, den mich der Zug von der Stadt meiner Geburt wegtrug, ein bisschen von mir abzureißen schien, wie eine Nabelschnur, die langsam zerfasert. Es war früher Morgen, und der Nebel vor der Scheibe bildete die Leinwand meiner Erinnerungen. Mein junges Leben zog an mir vorbei, wischte sich weg, klarte nach und nach auf. Rückblickend glaube ich, es war dieser Tag, an dem mein Familiensinn starb.

Es ist nicht so, als ob meine biologische Familie mir egal wäre. Aber sie hat sich von einem unhinterfragten, bindenden Vertrag nach und nach in etwas gewandelt, das eher einer sorgfältig kuratierten Gruppe von Personen gleicht, mit denen ich Erinnerungen, Wesensarten und Interessen teile. Die Verwandten, mit denen ich mich noch eng verbunden fühle, sind zu meinen Freund*innen geworden. Zu den meisten anderen habe ich den Kontakt beendet, mal schleichend, mal abrupt.

Wer den Kontakt zur biologischen Familie kategorisch ausschließt oder allein schon nicht sucht, muss sich dafür immer wieder rechtfertigen. Egal wie wenig wir mit unseren Verwandten teilen, Familienbande zählen. In der Familie muss man vergeben und vergessen. In der Familie hält man zusammen. Und wer Familie ist und wer nicht, das bestimmen zwei Dinge: Geburt und Ehe. Dabei sollte es doch eigentlich etwas anderes heißen.

Denn wer im Wortlaut familiaris ist, ist vertraut, geläufig, bekannt, ja, sogar freundschaftlich. Mehr als eine biologische Verwandtschaft bezeichnet das Wort darüber hinaus eine Zugehörigkeit zum Haus. Zur Familie im ursprünglichen Sinne zählen also nicht unbedingt die Personen, mit denen mensch die Gene teilt, sondern die Wohnung. Und auch, wenn ich aktuell alleine lebe, fühle ich mich bei meinen Freund*innen eigentlich mehr zu Hause, als in den eigenen vier Wänden. Zu Hause ist kein Ort, sondern ein Gefühl. Das Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem ich mich nicht verstellen muss. Das Gefühl, geliebt zu werden dafür, wie ich bin. Das Gefühl, nicht mehr laufen zu müssen, sondern fallen zu dürfen. Zu Hause bin ich nicht allein.

In meiner biologischen Familie habe ich mich oft einsam gefühlt, eine Singularität umgeben von Menschen. In meiner Wahlfamilie habe ich die Menschen gefunden, unter denen ich mich menschlich fühle.

Und Wahlfamilie schließt für mich nicht aus, dass ich mit Menschen verwandt bin. Es heißt nur, dass die Bande der Genetik aufgeweicht werden und das, was zählt, Bande von Gemeinsamkeit, Vertrauen und Liebe sind. Manchmal frage ich mich, warum das nicht die allgemeinen Kriterien sind, nach denen Zwischenmenschlichkeit bewertet wird. Aber an dieser Stelle ist es wieder einmal die Biologie, die uns verfolgt. Aus evolutionärer Sicht ist es nämlich vorteilhaft, an der biologischen Familie festzuhalten. Unsere eigenen Gene werden nämlich auch erhalten, wenn unsere nahen Verwandten überleben, nicht unbedingt aber andere Organismen. Das nennt sich inklusive Fitness. Sie führt dazu, dass die meisten von uns bis heute instinktiv bereit sind, für ihre Familie alles zu geben, bei anderen aber problemlos wegschauen können. Wir meinen so oft, uns als Spezies von der Biologie abgekoppelt zu haben. Aber das ist ein Trugschluss. Unterbewusst sind wir noch von denselben Mechanismen gesteuert, die uns Jahrmillionen Jahre lang am Leben gehalten haben. Viele Probleme unserer Zeit kommen aus genau diesen instinktiven Verhaltensweisen. Aber wir sind als bewusste Wesen nicht gezwungen, uns dem zu fügen. Wir können uns hinterfragen, wir können nachdenken, wir können in uns hineinspüren und wir können herausfinden, was, und vor allem wer uns wirklich glücklich macht. Wir können uns vielleicht nicht von unseren Wurzeln lösen, aber wir können über sie hinauswachsen und erblühen.

Heimat, das ist nicht, wo ich herkomme, sondern wo ich hingehe. Es ist nicht dasselbe wie mein Zuhause, noch nicht. Es ist ein Ort, den ich nicht kenne, aber finden werde. Und solange ich ihn suche, ist jedes Zuhause ein kleines Stück Heimat. Zuhause ist, wo meine Familie ist, meine echte Familie, von der ich wahrhaftig ein Teil sein kann. Zuhause ist überall und nirgends. Und eines Tages werde ich vielleicht wissen, wo es ist.