Die ARD dreht gerade eine neue Serie. Es geht um vier schwule Männer in Berlin. Regisseur und Autor Benjamin Gutsche erklärt: „Wir haben das Jahr 2020, und noch immer werden im deutschen Fernsehen Charaktere aus der LGBTQI-Community hauptsächlich als Nebenfiguren erzählt.“

Kommentar von Noah Kretzschel

„Ich freue mich, dies mit ‚All You Need‘ ändern zu können“, ergänzt Nataly Kudiabor, Produzentin bei UFA Fiction: „Wir fangen endlich an, auf den Bildschirmen abzubilden, wie unsere Gesellschaft wirklich aussieht. So rückt Diversität ganz selbstverständlich in die Mitte unserer Arbeit.“

Ganz richtig haben die beiden gemerkt, dass das Fernsehen nicht die Welt abbildet. Aber dass die queere Community ausschließlich aus (jungen) schwulen Männern besteht, „die in Zeiten von Grindr nach Liebe und Geborgenheit suchen“, ist mir neu.

Was ist denn mit den ganzen Lesben, trans* Personen, Pansexuellen, Nichtbinären, inter* Personen, Asexuellen, Bisexuellen, Gen-derqueeren passiert? Sind deren Geschichten nicht interessant genug für die ARD oder weiß Benjamin Gutsche nicht, wofür das von ihm verwendete Akronym LSBTQI steht?

Dieses Phänomen ist kein Einzelfall. Wenn irgendwo queer draufsteht, ist meist schwul drin. Es ist gut, wenn es schwule Sichtbarkeit gibt und wenn schwules Leben gezeigt wird. Doch ist es nicht mehr als merkwürdig, Artikel über Regenbogenfamilien mit Männerpaaren mit Kind zu illustrieren, wenn die meisten Eltern in Regenbogenfamilien lesbische Frauen sind?

Auch innerhalb der queeren Community haben schwule Männer viele Schlüsselpositionen inne, zum Beispiel in Verbänden und Vereinen. Auch queer.de (ein queeres Internetnachrichtenportal) wird immer noch von Inhalten über schwule Männer und Sex dominiert, auch wenn sich in den letzten Jahren sehr viel getan hat. Und wenn ich überlege, die Namen wie vieler schwuler Politiker ich im Gegensatz zu allen anderen queeren Politiker*innen aufzählen könnte – da hängt einiges schief.

Schwule Männer sind offensichtlich gesellschaftlich sichtbarer und etablierter als die anderen Mitglieder der Community.

Einige radikale Aktivist*innen fordern, Schwulen den Mund zu verbieten. Doch das halte ich für Unfug. Denn die Identität der Sprechenden sagt nichts über die Qualität des Gesagten aus. Die Qualität hängt von der inhaltlichen Tiefe der gewählten Themen ab.

Es gibt in der queren Community viele relevante und spannende Themen. Stichwort: medizinische Versorgung, Abschiebung, Stiefkindadoption, geschlechtszuweisende Behandlungen an inter* Kindern, selbstbestimme Eintragung von Name und Geschlecht, Ausschlüsse innerhalb der Community und und und.

Viele engagierte schwule Männer begreifen ihr Queersein als solidarisch und setzen sich für diese und weitere Themen ein. Trotzdem kommt es immer wieder zu dem oben beschriebenen Phänomen: Dass queer oft eigentlich schwul bedeutet.

Es gibt natürlich Gründe, sich mit anderen Themen nicht zu befassen und sie nicht darzustellen – dann wäre jedoch die Ehrlichkeit angebracht, „schwul“ statt „LGBTIQ-Community“ und „Diversität“ auf seinen Inhalt zu schreiben.

Aus der out! – Zeitschrift des Jugendnetzwerks Lambda e.V. (Winter 2020, Nr. 54). Die ganze Ausgabe gibt es hier.