von Lu
„Stell dir vor, du tust nichts und wirst trotzdem zum Täter. Mitläufer sein ist Täter sein.“ (Vogelfrei, Junge Neuköllner Oper, 2024)
Haltung zu zeigen, ist mehr als persönliche Meinung.        
Schweigen ist nicht die Abwesenheit von Meinung.
Einflussreiche Menschen und Institutionen, sei es in der Politik, Kultur, Medien oder der Wirtschaft, beeinflussen, wie über gesellschaftliche Themen gesprochen und gedacht wird. Ihre Worte und Taten prägen die öffentliche Meinung, setzen Prioritäten und können Machtstrukturen entweder stabilisieren oder infrage stellen. Demokratie lebt davon, dass sich viele Stimmen klar gegen Diskriminierung stellen und sich für gleiche Werte und Rechte einsetzen. Wenn öffentliche Personen oder Unternehmen sich jedoch aus Angst vor Kontroversen heraushalten, überlassen sie das Feld denjenigen, die spalten und Menschenrechte infrage stellen. Das vermeintliche Schweigen ist somit nicht neutral, sondern wirkt unterstützend für diskriminierende und ausgrenzende Kräfte.
Gerade einflussreiche Persönlichkeiten tragen hier eine besondere Verantwortung. Sie dienen ihren Fans und Followern als Vorbild und orientieren sich an ihren Haltungen. Wer über eine solche Reichweite verfügt, besitzt die Möglichkeit, Missstände sichtbar zu machen, Aufklärungsarbeit zu leisten und Debatten anzustoßen. Wenn diese Stimmen aus Angst vor einem Rückgang der Followerzahl, vor Beliebtheitsverlust oder vor kommerziellen Einbußen schweigen, wird das Potenzial für einen positiven gesellschaftlichen Wandel verschenkt. Es entsteht stattdessen eine Art Gleichgültigkeit gegenüber wichtigen politischen Themen.
Doch nicht nur einzelne bekannte Persönlichkeiten stehen in der Pflicht. Auch Organisationen und Institutionen prägen die Haltungen der Gesellschaft. Ihr Handeln oder Schweigen erzielt oft eine noch größere Wirkung, weil sie mit Kampagnen, Produkten oder Kooperationen breite Zielgruppen erreichen. Ein Beispiel dafür liefert der diesjährige Pride Month. Auffällig viele große Unternehmen, die bislang zumindest während des Pride Months Flagge zeigten, verzichteten nun auf Produkte mit Pride Flaggen, Kampagnen oder andere sichtbare Formen von Unterstützung. In den vergangenen Jahren war der Juni geprägt von bunten Logos, speziellen Kollektionen und Werbeaktionen, die vielfach als oberflächliches Pinkwashing kritisiert wurden. Dieses Jahr blieb es stiller. Auf den ersten Blick mag diese Zurückhaltung begrüßenswert erscheinen, weil sie den Fokus von rein kommerziellen Aktionen weglenkt. Es entfällt das Gefühl, dass queere Lebensrealitäten nur für Marketingzwecke genutzt werden, während sich ab dem Juli schnell wieder alles in den gewohnten Bahnen bewegt. Gleichzeitig hinterlässt das kollektive Schweigen vieler Unternehmen ein ambivalentes Bild. Die Stille wirkt wie ein Rückzug aus Angst vor Umsatzverlusten oder vor Anfeindungen von Menschen, die Vielfalt und Gleichberechtigung ablehnen. Es fühlt sich an, als würden selbst jene Akteure, die jahrelang davon profitiert haben, plötzlich einen Schritt zurücktreten. Das erzeugt den Eindruck, dass gesellschaftliche Akzeptanz brüchiger ist, als viele hofften, und dass wirtschaftliche Interessen schwerer wiegen als das Bekenntnis zu gleichen Rechten. Es ist ein Signal, das nicht nur enttäuschend, sondern auch gefährlich sein kann, weil es Gegnern von Vielfalt und Gleichberechtigung Auftrieb gibt.
Haltung zeigen bedeutet jedoch mehr, als große Bühnen oder Kampagnen zu nutzen. Veränderung entsteht auch dort, wo Menschen direkt miteinander sprechen und unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen. Es reicht nicht, Themen ausschließlich in einer eigenen Meinungsblase zu diskutieren, in der die meisten ohnehin dieselbe Ansicht teilen. Wirkliche Veränderung entsteht, wenn der Dialog auch Menschen erreicht, die andere Perspektiven vertreten oder sich bisher wenig mit dem Thema beschäftigt haben. Deshalb ist es entscheidend, im privaten Umfeld das Gespräch zu suchen. Gerade Orte, wo unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen, sind bedeutsam. Darum sind vor allem auch Stimmen einflussreicher Personen, deren eigentlicher Content aus Bereichen wie Sport, Musik oder Lifestyle stammt, besonders wertvoll. Sie können durch klare Positionierungen Menschen außerhalb der üblichen politischen oder aktivistischen Kreise ansprechen und so auf Themen hinweisen und Denkanstöße geben, die die eigene Bubble sprengen.
Haltung bedeutet, den Mut zu haben, Unbequemes aus – und anzusprechen und Verantwortung zu übernehmen, auch wenn dies Risiken birgt. Wer wegsieht, nimmt in Kauf, dass Unrecht fortbesteht. Wer nicht widerspricht, wenn Menschenrechte oder Minderheiten angegriffen werden, macht sich mitschuldig. Schweigen ist keine neutrale Position, sondern eine Entscheidung, die Folgen hat.
In einer Zeit, in der Hass und Ausgrenzung wieder lauter werden, ist es also wichtiger denn je, Haltung zu zeigen. Im Großen wie auch im kleinen Kreis. Es reicht nicht mehr, innerlich bestimmte Werte zu vertreten, es braucht Taten, die signalisieren, dass die Menschenwürde und Vielfalt unverhandelbar sind. Wer Einfluss hat, trägt Verantwortung, wer schweigt, stärkt diejenigen, die diese Werte angreifen. Doch Haltung zu zeigen, beginnt schon im Kleinen und setzt sich im Großen fort. Nur wenn im Alltag
Über aktives Haltung zeigen im Alltag und wie Schweigenangesichts von Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen keine neutrale Position ist.
regelmäßig Gespräche mit Menschen geführt werden, die andere Überzeugungen haben, wenn Vorurteile offen angesprochen und nicht einfach stehengelassen werden, können sich neue Perspektiven öffnen und ein respektvoller Austausch wachsen.