Ich hatte kein Coming-out. Ich oute mich immer wieder aufs Neue. Jedes Mal, wenn ich Menschen treffe, muss ich mich fragen, ob ich mich outen möchte. Denn man sieht mir meine Sexualität natürlich nicht an. Ich bin eine cis Frau in einer Beziehung mit einem cis Mann. Das heißt, auch wenn ich Menschen treffe oder mich mit ihnen anfreunde, fällt ihnen nicht unbedingt sofort auf, dass ich queer bin. Nach außen hin wirke ich wie ein weiterer Teil der Hetero-Mehrheitsgesellschaft.
Als ich aufwuchs, kannte ich den Begriff Asexualität nicht, generell waren mir wenige Begriffe außerhalb des Heteronormativen bekannt. Mir kam es gar nicht in den Sinn, mich damit zu beschäftigen, ob ich hetero sei oder nicht, denn alle Menschen, die ich kannte, waren hetero. In meinem Familien- und Bekanntenkreis gab es keine queeren Menschen und in der Schule wurde über verschiedene Geschlechts- und sexuelle Identitäten überhaupt nicht gesprochen. Erst nach der Schule bin ich durch linken politischen Aktivismus in Gruppen gekommen, in denen nicht alle Menschen hetero waren. Plötzlich kannte ich schwule, lesbische, bi- und pansexuelle Menschen und Menschen, deren Geschlecht nicht mit dem übereinstimmt, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
Und plötzlich war da vor allem durch das Internet dieser Begriff: Asexuell. Ich weiß noch genau, wie ich mich gefühlt habe, als ich zum ersten Mal dessen Definition gelesen habe. Davor war ich selbst sehr abwertend. „Ach was soll das denn sein, diese ganze Sache mit der sexuellen Anziehung ist doch sowieso nur ein totaler Hype, der durch Filme und Bücher viel größer gemacht wird, als er wirklich ist.“ Doch je länger ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto mehr wurde mir klar: Nein, sexuelle Anziehung ist gar keine Erfindung von Hollywood, Menschen fühlen das wirklich, und je länger ich darüber nachdachte desto klarer wurde mir, dass dieser Begriff mich ziemlich gut beschreibt. Zunächst war dieses neue Wissen ein sehr befreiendes Gefühl, aber nichts, was ich mit der Welt teilen wollte. Ich habe stattdessen öfter dieses Wort „asexuell“ in meinem Kopf herumgedreht, mit mir herumgetragen wie eine Murmel in der Hosentasche. Man muss sie nicht rausholen und allen zeigen, man kann sie auch einfach nur ab und zu mit den Fingerspitzen berühren und ein Gefühl für diese neue Identität bekommen. Manchmal habe ich mich vor den Spiegel gestellt und laut „Ich bin asexuell“ gesagt. Lange war das mehr eine Frage, doch irgendwann wurde aus dem Fragezeichen ein Punkt und aus dem Punkt wurde ein Ausrufezeichen. Und als ich mich schließlich damit sicher fühlte begannen meine Coming-outs.
Ich habe nie vorher den festen Plan gefasst, mich jemandem gegenüber zu outen. Meistens entstanden diese Situationen sehr spontan, manchmal sogar zu spontan, wenn ich ehrlich bin. Denn vermutlich gibt es eine bessere Möglichkeit, seinem langjährigen Partner von seiner sexuellen Identität zu erzählen als nebenbei auf einer Party bei ein paar Bier. Er war damals ziemlich überrumpelt, hat das ganze aber ganz großartig aufgenommen, indem er einfach, „Öhh, okay?“ sagte und wir uns wieder der Party zugewendet haben. Einige Wochen später sprachen wir noch einmal länger darüber. Zu dem Zeitpunkt hatte er schon von sich aus recherchiert und zu meinem Überraschen war seine Reaktion sehr enthusiastisch, denn plötzlich ist ihm klar geworden, dass alles, was an unserer Beziehung gegebenenfalls anders und auch manchmal schwierig war, nichts damit zu tun hatte, dass ich ihn nicht mochte, oder zumindest nicht so sehr wie er mich, sondern dass unsere Beziehung anders ist, weil es eine Beziehung ist, in der es eine asexuelle Person gibt. Heute ist meine Identität nichts, was ich im ersten Gespräch erwähne, aber auch nichts, was ich verheimliche. Ich bin weiterhin in meiner Partnerschaft und Menschen hinterfragen meine Sexualität einfach nicht, weil die meisten gedanklich in sehr heteronormativen Konstrukten festhängen.
Doch irgendwann kommt oft der Punkt, an dem ich sage: Ich bin asexuell. Und obwohl ich diese Situation jetzt schon dutzende, vielleicht sogar hunderte Male hinter mich gebracht habe und viele Reaktionen wirklich sehr, sehr positiv waren, frage ich mich immer wieder, ob ich das überhaupt will, denn am Ende bleiben oft nur die Erinnerungen an unangenehme oder sogar gefährliche Coming-outs hängen. Unangenehme Situationen beinhalten cis Männer, die mir sehr aggressiv sagen, dass ich einfach nur „durchgefickt werden müsse“, cis männliche platonische Freunde, die mir bei meinem Coming-out erklären, dass sie niemals mit mir zusammenkommen wollen würden oder auch Fremde, die mir furchtbar intime Fragen zu meinem Sexleben stellen. Außerdem sind da immer wieder vor allen Dingen in linken queeren Spaces die Leute, die massives Gatekeeping betreiben. Das sind die Leute, die noch immer sagen, dass Asexuelle nicht zur queeren Community gehören und mich nur an ihren Spaces und Diskussionen teilhaben lassen, weil ich mich auch außerhalb meiner sexuellen Identität nicht als heteroromantisch bezeichne. Diese Spaces, in denen ich nicht willkommen bin, werden zum Glück immer weniger.
Das gibt mir sehr viel Hoffnung für die Zukunft und Hoffnung darauf, dass Coming-outs mir irgendwann keine Angst mehr machen, denn auch unabhängig von der Angst und der generellen Unwissenheit in der Bevölkerung finde ich ein Coming-out in Bezug auf Asexualität weiterhin oft schwierig, weil es eben wirklich darum geht, was ich in Bezug auf Sex und Intimität fühle. Das sind sehr private Themen, die ich nicht mit allen Menschen teilen möchte. Das ist auch der Grund, warum ich diesen Text anonym veröffentliche.
Diese Coming-out-Story ist zuerst in der Sommer-Ausgabe der out! erschienen. Vielen Dank an den_die Autor_in!