Lecker, Coming-out!

Ein Coming-out ist ein großer Schritt, meist auch einer der schwierigsten im Leben von queeren Menschen. Es ist nicht leicht, den richtigen Zeitpunkt oder den passenden Platz für ein offenes, vertrautes Gespräch zu finden. Kein Wunder, dass daher viele die Gelegenheit eines gemeinsamen Essens und Beisammenseins nutzen, um sich ihren Liebsten anzuvertrauen. Sei es beim Sonntagsfrühstück mit den Eltern, beim Mittagessen mit Freund*innen, beim Kaffeekranz mit Verwandten oder zum gemeinsamen Abendessen in der Familie, die meist vertraute und entspannte Atmosphäre eignet sich gut für ein solches Gespräch. Diese fünf kurzen Geschichten zeigen, wie unterschiedlich ein Coming-out ablaufen kann. Die einzigen Gemeinsamkeiten: Alle sind gut verlaufen, und alle haben mit Essen zu tun.

Zwischen Tee und Ehrlichkeit

Es war an einem ruhigen Freitagnachmittag, ich war erst eine kurze Weile zuvor aus der Schule gekommen und saß wie so oft mit meiner Mutter am Tisch und trank einen Tee. Ich hatte es nicht wirklich geplant, der Ausgang der Unterhaltung entwickelte sich überraschend spontan. Natürlich hatte ich seit längerer Zeit über ein Coming-out nachgedacht. Die einzige Tatsache, die mich bis dahin immer davon abgehalten hatte, waren die manchmal sehr spitzen Kommentare meiner Mutter zum Thema Bisexualität. Von denen hatte ich schon einige gehört, wenn ich das Thema angeschnitten hatte. Ich fürchtete mich vor ihrer Reaktion, aber im Nachhinein bin ich dankbar für dieses Gespräch. Wir unterhielten uns über die Ereignisse des Tages und kamen dabei auch auf die bevorstehende Hochzeit eines bekannten Pärchens. Zwei Frauen, eine von ihnen war einmal mit einem Mann verheiratet gewesen und bekanntermaßen bi. Natürlich kam wieder ein klassischer Klischeegedanke zum Gespräch. In diesem Moment überkam es mich irgendwie. Ich erklärte ihr, dass nichts Verwerfliches oder Fragwürdiges dabei ist, bi zu sein. Wir verfielen in eine kleine Diskussion, an deren Ende sie erklärte, dass sie es sich einfach nicht vorstellen konnte, Liebe nicht von einem Geschlecht abhängig zu sehen. Ich erzählte ihr, dass ich es hingegen sehr wohl konnte. Sie war überrascht und schwieg eine Weile. Sie fragte mich später, ob ich das Thema deshalb so oft erwähnt hatte, was ich unsicher bestätigte. Danach war das Gespräch für sie beendet. Doch wenig später kam sie wieder auf mich zu und meinte, dass es okay wäre. Sie würde es akzeptieren und mich unterstützen, denn mein Wohlergehen war ihr wichtiger als alles andere. AL

Beste Freund*innen

Bei diesem Coming-out blieb es nicht. Zwar hatte ich meinen Freund*innen schon viel früher von meiner sexuellen Orientierung erzählt, aber mir war mit der Zeit noch etwas anderes bewusst geworden, nämlich dass ich mein Geschlecht anders definierte – genderfluid trifft es am besten. So kam es zu folgender Situation: Nach meinem Schulabschluss traf ich mich häufig mit meinen Freund*innen zum Bummeln oder Essen gehen. Für mich und meine Freund*innen war McDonald‘s zum Stammlokal geworden, einfach weil man dort zur schlecht besuchten Tageszeit immer ein ruhiges Eckchen zum Reden fand. Während wir dort also saßen und uns unterhielten, fasste ich mir ein Herz und lenkte das Gespräch auf das Thema, das mich seit Monaten beschäftigte: Geschlechtsidentität. Ich erzählte ihnen von Ruby Rose, ein Vorbild für mich. Natürlich verstanden sie letztendlich, dass es um etwas persönlicheres ging. Sie fragten, was los sei. Ich gestand ihnen, warum ich dieses Thema angesprochen hatte. Man muss zur Reaktion sagen, dass wir alle uns seit Ewigkeiten kennen und unser kleiner Freund*innenkreis relativ bunt gemischt ist, was Sexualität und Geschlecht anbelangt. Ich fand mich also am Ende in einer großen Umarmung wieder. AL

Kalte Lasagne

Diese kleine Coming-out-Geschichte hat mir eine Freundin erlaubt, zu erzählen. Sie hatte es schon eine ganze Weile geplant, ihren Eltern zu erzählen, dass sie lesbisch ist. Sie nutzte die Chance des gemeinsamen Mittagessens. Noch bevor es ans Essen ging, standen ihr die Tränen in den Augen, weil sie so verunsichert war. Ihre Eltern waren darüber sehr verwundert und fragten, was los sei. Sie holte tief Luft und begann zu erzählen, wie sie erst vor kurzem zum ersten Mal ein Mädchen geküsst hatte und wie lange ihr das schon auf der Seele brannte, dass sie sich in dieser Hinsicht immer vor ihnen versteckte. Ihre Eltern reagierten wie im Bilderbuch positiv und verständnisvoll. Das Gespräch war lang, die Umarmung ebenso, da ist es nicht verwunderlich, dass die Lasagne kalt war. Aber das störte niemanden. AL

Kellergeflüster

Wir saßen mit ein paar Freund*innen und Verwandten am Tisch und wollten einen gemütlichen Abend verbringen. Wir unterhielten uns gut und hatten wie immer viel Spaß. Etwas Alkohol lockerte die Stimmung, wie auch die Zunge von allen. Und obwohl ich gar nicht so viel getrunken hatte, wurde ich überraschend mutig. Als mich meine Tante fragte, ob ich Platten mit belegten Broten als Snack aus dem Keller holen und ihr helfen könnte, willigte ich gern ein. Meine Tante war eine meiner engsten Vertrauten, ich würde sagen, dass ich ihr wohl mehr vertraute als meinen Eltern. Wir gingen gemeinsam in den Keller, sprachen dabei über alles Mögliche. Irgendwie kam mir der Gedanke, dass jetzt oder nie der Moment war, ihr zu erzählen, dass ich schwul war. Wir waren ungestört und niemand würde es hören, dazu fühlte ich mich endlich bereit. Ich hatte mich selbst akzeptieren und lieben lernen müssen, bevor ich ehrlich zu mir und allen anderen sein konnte. Und das war ich nun. Ich tippte ihr auf die Schulter, bevor sie die Treppe wieder nach oben lief. „Ich muss dir was erzählen“, meinte ich ernst. Dann sprudelte es aus mir heraus. Als ich geendet hatte, zog sie die Augenbraue hoch, stellte die Brotplatte zur Seite und begann dann zu lächeln. „Danke, dass du dich mir anvertraut hast. Ich hab dich lieb.“ Sie umarmte mich. Wir verbrachten eine Viertelstunde im Keller, aber es war uns egal, was der Rest im Obergeschoss dachte. Wir hatten uns selten so gut unterhalten. Besser hätte mein Coming-out nicht laufen können.

Ach übrigens, so heiße ich ab jetzt

In meiner Familie, wie wohl auch in vielen anderen, ist das Abendessen der erste, täglich wiederkehrende Moment, in dem alle zusammenkommen. Demnach wird sich dann auch unterhalten, über den vergangenen Tag, anstehende Dinge, aber auch die größten Neuigkeiten. Es wäre also auch für mich naheliegend gewesen, mein Coming-out am Esstisch zu haben. So war es aber tatsächlich nicht, denn geoutet hatte ich mich bereits, und das nicht am Esstisch. Trotzdem habe ich eine kleine Esstisch-Anekdote, die auf gewisse Weise dennoch in diese Kategorie passt. An einem Samstagabend saßen wir gemeinsam zusammen beim typisch schwäbischen „Vesper“, „Brotzeit“, oder wie auch immer man es nennen möchte. Meine Familie wusste, dass ich an jenem Tag zum ersten Mal den Gruppentermin für trans* Jugendliche meiner Psychologin besucht hatte, und so war es nicht überraschend, als ich gefragt wurde, wie es denn so war. Es war super, erzählte ich, denn das war es auch. Alle anderen waren nett, ich habe mich wohl und verstanden gefühlt und es war alles in allem eine wirklich gute Erfahrung. So weit erzählte ich, ohne groß auf Details einzugehen, die meine Familie vielleicht auch nicht alle wissen musste. Doch das eine, ganz bestimmte Detail, das sich ergeben hatte, war dann doch etwas relevanter für die Familienrunde. Ich hatte mich am Vormittag in der Gruppe nämlich relativ spontan für meinen neuen Namen entschieden. Meine Familie hatte von meiner groben Vorauswahl, die schon ein paar Tage feststand, bereits gehört, aber genauer darüber gesprochen hatten wir nie. Der eine Name in der engeren Auswahl war von mir selbst gewählt, und der andere wäre mir von meinen Eltern gegeben worden, hätten sie zu meiner Geburt bereits einen „Jungennamen“ wählen sollen. Beide hatten mir gut gefallen und so hatte ich mich eigentlich noch nicht festgelegt. Doch bei der Vorstellung in der Gruppe wollte ich nicht meinen alten Namen nennen und so hatte ich mich dann spontan, vielleicht auch intuitiv, für den von mir gewählten Namen entschieden. Meiner Familie musste ich diesen Entschluss nun auch noch erzählen. Ich sagte in etwa: „Übrigens, ich habe mich für meinen neuen Namen entschieden – Aaron.“ Ein kurzer Moment verstrich, ehe die Reaktion positiv ausfiel. Wie ich denn auf den Namen gekommen sei, und wie ich mich jetzt letztendlich dafür entschieden hätte, wollten sie noch wissen, dann war die Sache hingenommen und akzeptiert. Alles in allem also eine recht unspektakuläre Geschichte und trotzdem ein ganz entscheidender Moment, fast schon wie ein zweites Coming-out. Denn zumindest für mich hat es sich angefühlt, als hätte ab diesem Moment, mit dem neuen Namen, meine Transition nicht mehr nur in meinem Kopf stattgefunden. Und auf gewisse Weise hat sie ab da auch offiziell angefangen – für mein Umfeld zumindest. Aaron

Dieser Artikel ist zuerst in der Winter-Ausgabe der out! erschienen. Vielen Dank an die Autor*innen: AL, Aaron und weitere!