Interview von Sara Schreiner

Wer an Drag denkt, hat oft Glam und Glitzer im Kopf. Aber Drag heißt erstmal nur, bestimmte Gender-Merkmale eines Geschlechts anzunehmen, mit dem man sich nicht identifiziert. Das kann Outfit, Make-Up, Stimme oder Verhalten sein. Deshalb ist Drag oft hochpolitisch. Das zeigen viele Aktivist*innen weltweit, und die New Yorker Stone-wall Riots haben 1969 bewiesen, dass Drag schon lange politisch war. Vorlesestunden von Drag Queens oder der Protest gegen US-Präsident Donald Trump oder die AfD sind heute Teil davon.

Abseits von demokratischen Staaten sieht der Aktivismus anders aus: Drag-Künstler*innen und LSBTIQs müssen Angst vor Verfolgung und Bestrafung haben und können sich oft nur im Untergrund frei bewegen, wenn sie etwa bei queeren Partys in Drag auftreten. Sie setzen sich dabei höchster Gefahr aus, indem sie einfach nur sichtbar sind. Doch auch die in der Öffentlichkeit weniger präsenten Drag Kings sind häufig aktivistisch: Stephanie Weber aus Köln zum Beispiel gibt seit zwölf Jahren Workshops für Frauen, um zu empowern und klassische Geschlechterrollen herauszufordern. Die Gender- und Medienpädagogin engagiert sich außerdem bei „Queers for future“, dem queeren Ableger der Klimaschutzbewegung „Fridays for future“ und ist Teil des YouTube-Formats „Queer L-Vlog“, in dem der Alltag von Kölner Queers und Lesben thematisiert wird.

Was bedeutet Aktivismus für dich?

Für mich bedeutet Aktivismus, sich nicht davor zu scheuen, immer wieder anzufangen. Ich gebe Seminare zu den Themen Drag und Geschlechterrollen, spreche darüber, setze mich dafür ein. Ich versuche, immer wieder bei Punkt Null zu beginnen, auch wenn ich selbst schon darüber hinaus bin.

Wie bewertest du es, dass Drag Kings im Mainstream nach wie vor seltener vorkommen als Queens?

Drag Kings und Queens zu vergleichen, ist wie lesbisches und schwules Coming-out auf eine Stufe zu stellen. Natürlich gibt es da ein gemeinsames Erlebnis, aber der Rest unterscheidet sich. Kings tauchen immer wieder als Trend auf, der dann zeitweise verschwindet. Wichtig ist, von dieser Entwicklung nicht genervt zu sein, sondern sie als Phänomen zu betrachten.

Es gibt viele größere Zeitungen, die sie vor dem Hintergrund anfragen, dass über Drag Kings zu berichten als etwas „Außergewöhnliches“ gilt, obwohl sie im Kern dasselbe machen wie Drag Queens.Im Mainstream sind Drag Kings noch nicht angelangt, obwohl sie als Phänomen schon sehr lange existieren. Sie bilden eine Kontinuität in der queer-alternativen Subkultur.

Es ist schade, dass die wenigen Bühnen, die es gibt, im Mainstream oft nur von Queens besetzt sind. Wahrscheinlich denken offene Bühnen nicht weit genug. Ich habe mal eine Show in einem Kölner Theater besucht, bei der zwei weibliche Comedians vierzig Rollen performt haben. Das gipfelte in einem albernen Kermit-Kostüm. Aber das war im Prinzip auch eine Drag-King-Show. Nun ist das ein „gediegenes“ Kölner Theater, in dem es kein queeres Publikum gibt, und die Show ist doch immer ausverkauft. Man sieht, das funktioniert also total gut! Es gibt wahrscheinlich zu wenige mutige Menschen.

Worin liegt die Chance, Drag und Aktivismus zu verbinden?

Drag ist ein Stilmittel, um Themen, die uns beschäftigen, Raum zu geben. Ein Vorteil daran ist: Das können alle. Und Drag ist nicht geschlechtlich festgelegt. Trans* Personen können das genauso machen, es gibt keine binäre Regel.

Drag hält der Gesellschaft auch einen Spiegel vor, indem es zeigt, wo wir in Sachen Emanzipation oder Gleichstellung der Geschlechter stehen. Sobald man auf die Bühne kommt, wird automatisch Geschlecht infrage gestellt. Wir lernen, indem die „Kopie“ eines Geschlechts dargestellt wird. Leute bewerten diese Kopie dann, indem sie sich fragen „ist das eine echte Frau?“. Aber Drag zeigt, dass es gar kein Original gibt.

Wie verbreitet ist die Idee in unserer Gesellschaft, Drag sei nur zur Unterhaltung da?

Viele Menschen haben live noch keine Drag Shows gesehen und müssen gezielt danach suchen, um sie dann in einer größeren Stadt zu finden. Oder nur nebenbei, außer sie waren mal in Berlin feiern. Ein Hoch für Drag gab es durch Heidi Klums Show, und natürlich auch durch RuPaul. Ginge es RuPaul dabei nur um Unterhaltung, würde RuPaul jedoch nicht die Menschen hinter Drag zeigen, was sie damit verbinden und warum sie Drag machen.

Es geht schon darum, tiefer hineinzuschauen. Ich denke, Drag ist eine Faszination und mehr als Unterhaltung, Drag regt zum Nachdenken an. Wenn ich meine Workshops gebe, dann habe ich das Gefühl, viele Men-schen nutzen sie, um Geschlecht zu hinterfragen. Das liegt bestimmt daran, dass auch die Philosophin und Queer-Theoretikerin Judith Butler das Thema vorangebracht hat. Die Rückmeldungen, die ich nach den Wochenenden bekomme, sind so positiv. Teilweise berichten Teilnehmende Jahre später, dass sie immer noch davon profitieren.

Und vielleicht macht man das genau deshalb. Danke für das Interview, Stephanie!

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Aus der out! – Zeitschrift des Jugendnetzwerks Lambda e.V. (Sommer 2020, Nr. 52). Die ganze Ausgabe gibt es hier.