Die Serie “Pose” entführt uns in die schillernde wie solidarische Welt der Ballroom Culture. Das war eine ganz besondere queere Subkultur, die immer noch Anhänger*innen weltweit hat.
Von Nadja Zwick
Ein junger, afroamerikanischer Mann sitzt auf einem Sofa und erzählt von seinem Traum, irgendwann einmal mit seinem ganzen House nach Japan zu reisen, dort alles loslassen zu können und sich akzeptiert zu fühlen. Davon, dass er gern ein großer Star wäre, ein Choreograf oder ein berühmter Tänzer. Er schaut verträumt vor sich hin.
Andere Szene – selber Mann. Er steht in einem weißen, rückenfreien Hemd und schwarzer Hose mitten in einem Saal. Das Publikum um ihn herum schaut ihm begeistert zu. Er voguet sich mit gefrorener Miene über die Tanzfläche und legt eine beeindruckende Choreografie hin. Dieser Mann ist Willi Ninja, Mother des House of Ninja. Er revolutionierte das Voguing grundlegend. Das ist eine Form des Tanzens, bei der in fließenden Bewegungen von Tänzer*innen die Darstellungen der Models auf dem Laufsteg, in Modemagazinen wie der „Vogue“ und bei Fotoshootings dargestellt werden.
Das sind Szenen aus der Dokumentation „Paris Is Burning“ von Jennie Livingston. Sie erschien im Jahr 1990 und bildet die Ballroom Culture von New York City in den 1980er Jahren ab. Der Film zeigt Interviews mit Mitgliedern der ruhmreichsten Houses der damaligen Community. So wird zum Beispiel Venus Xtravaganza gezeigt, eine bewundernswert selbstsichere trans* Frau, die offen über die Drogenabhängigkeit vieler Kids der Szene und ihre eigene Arbeit als Sexarbeiterin spricht. Über die Faszination für Glamour, den Traum von Ruhm und Akzeptanz, über ein Leben voller Entbehrungen. Sie spricht von den Demütigungen und Gewalttaten, die ihr von Männern angetan wurden, wenn sie bemerkten, dass sie eine trans* Frau war. Sie war erst 23, als sie noch vor der Premiere von „Paris Is Burning“ ermordet in einem Hotelzimmer gefunden wurde. In der Community erlitten viele ähnlich traurige Schicksale. So starben viele in der Ballroom-Szene an den Folgen von Aids.
Auf einem Ball konnte man alles sein, was man wollte. Es gehe darum, „eine Legende zu werden“. Es gab Drags, die wie Las Vegas-Showgirls aussahen, wie Filmstars oder Models. Man konnte sich wie ein Hetero kleiden, sich wie einer mimen und eine Illusion schaffen. Ganz bewusst wurden Gender- und Rollenklischees überspitzt und gesprengt. Die individuelle Interpretation dessen wurde in Kategorien wie ,Butch Queen’, ,Going to school’ oder ,High fashion evening wear’ gezeigt. Eine andere Kategorie war zum Beispiel ,Mother of the year’. Die Kids sahen zu ihrer Mother oder ihrem Father auf, sie waren deren Ansprechpartner*innen, Ratgeber*innnen und Elternersatz.
Die Dokumentation „Paris Is Burning“ gilt als wichtiges Zeitzeugnis der Transgender- und Schwulenszene sowie der afroamerikanischen und lateinamerikanischen Community des 20. Jahrhunderts. Allerdings sprach sich die Community im Nachgang gegen die Doku aus und kritisierte sie heftig, da sie nur die Schattenseiten der Ballroom Culture beleuchte.
Die Anfänge der Ballroom Culture
So vielfältig und bunt wie in „Paris Is Burning“ war es jedoch nicht immer. In den 1920er Jahren nahm die Ballroom Culture in US-Großstädten wie New York City ihren Anfang. Die im Untergrund aktive LSBTIQ-Community organisierte in regelmäßigen Abständen sogenannte Balls, die jedoch als gesetzeswidrig galten, da es verboten war, genderspezifische Kleidung zu tragen, die nicht dem bei Geburt zugeordneten Geschlecht entsprach. Die Balls waren eine Mischung aus Tanzveranstaltung und Maskenball. Es ging vor allem darum, stereotype Gender-Klischees aufzubrechen. Eine Jury begutachtete und bewertete die Darstellung der Queers und vergab Trophäen und Auszeichnungen.
Bei den ersten Balls saßen ausschließlich weiße Menschen in der Jury, People of Color oder Latinos wurden oft unfair bewertet oder von den Preisverleihungen ausgeschlossen. Deshalb begannen später People of Color und Lateinamerikaner*innen ihre eigenen Balls zu organisieren. In verschiedenen Kategorien wurden aufwendige Kostümierungen und eingeübte Shows gezeigt. Je glamouröser, desto eindrucksvoller. Auch hier war das Ziel, eine Trophäe oder Auszeichnung zu erhalten. Die Mitglieder der sogenannten Houses traten gegeneinander an und versuchten anhand ihrer Realness (Echtheit) zu überzeugen. Sie präsentierten eine Mischung aus Walking, Voguing, Lip-Synchronisation und Tanz.
Als Houses wurden entstandene Wahlfamilien bezeichnet, die für viele Mitglieder der unterdrückten LSBTIQ-Community die Rettung vor einem Leben auf der Straße waren, da sie oft von zu Hause verstoßen wurden. Ein House wurde von einer Mother oder einem Father geleitet und beherbergte eine unbegrenzte Anzahl an Children/Kids, die sich oft so nah standen wie Geschwister. Um ein House zu gründen, spielte es eine zentrale Rolle, wie berühmt und wie lange man schon in der Szene war. Das Zugehörigkeits- und Familiengefühl, die damit verbundene Sicherheit, bedeutete einigen Houses so viel, dass sie auch gemeinsam lebten.
„Pose“ – eine ganz besondere Serie
Maßgeblich von „Paris Is Burning“ wurde die US-Serie „Pose“ beeinflusst, die 2018 erstmals ausgestrahlt wurde. Sie wirft einen unverfälschten und ehrlichen Blick auf die Ballroom Culture Ende der 1980er Jahre in Lower Manhattan, New York.
Im Fokus der Serie stehen die Namen und Mitglieder der drei erfolgreichsten Houses der Community: Das House of Abundance, das House of Evangelista und das House of Ferocity. In den Hauptrollen sind BIPoC zu sehen, die sich als trans* Frauen oder cis*-männliche Schwule identifizieren.
Jede Woche finden in großen Veranstaltungsräumen Balls statt, welche in der LSBTIQ-Community begehrte und gut besuchte Events sind.
Neben den spektakulären, meist freudig aufgeladenen und ausgelassenen Balls wird jedoch auch die Schattenseite dieser Zeit gezeigt. In den späten 80er-, Anfang der 90er-Jahre ist Donald Trump nur ein Vertreter der konservativen, rassistischen und LSBTIQ-feindlichen Politik in Amerika, die besagte Randgruppen systematisch ausschloss und diskriminierte.
Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit sind allgegenwärtig, was jeden einzelnen Charakter der Serie betrifft und in sehr emotionalen Szenen zu sehen ist. Die Summierung und Härte der missbräuchlichen, abwertenden und menschenunwürdigen Taten durch meist weiße, vermeintlich heterosexuelle Männer, endet in mehr als einer Situation tödlich für die Opfer. Beerdigungen stehen an der Tagesordnung und der Tod ist schmerzhafter, allgegenwärtiger Begleiter. Nicht minder vertreten sind die Auswirkungen der sich damals schnell verbreitenden HIV-Infektionen in der Szene. Wer nicht selbst betroffen ist, kennt jemanden, der es ist oder bereits an Aids verstarb. So trifft dieses Schicksal auch einige der Hauptrollen der Serie.
„Pose“ zeigt, anders als in den meisten bisher weltweit ausgestrahlten Produktionen, keine cis-Personen in den trans* Rollen der Serie, sondern ausschließlich trans* Personen.
Ballroom heute
„Pose“ trug dazu bei, dass die Ballroom Culture in die Mitte des Mainstreams rutschte. Fernab dieses Booms, den die Serie auslöste, existiert schon seit vielen Jahren ebendiese Kultur in Großstädten auf der ganzen Welt, so zum Beispiel auch in Berlin und Hamburg. Es finden sich Menschen aus unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten zusammen, BIPoCs und weiße Menschen mit diversen sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentiäten, sie schaffen sich ihren Safe Place und lassen die Ballroom Culture aufs Neue erblühen. Unsere heutige Zeit lässt mehr Vielfalt zu als damals. Es gibt mittlerweile zahlreiche Fashion Shows, die den Spirit des Ballrooms in ihrer Mode einfangen und publik machen.
Auch wenn die Mitglieder der queeren Community sowie BIPoC noch immer oft am Rande der Gesellschaft stehen, kämpfen Tausende Tag für Tag gegen Rassismus, Homophobie und Trans*-Feindlichkeit, machen sich für LSBTIQ-Rechte stark und haben in den vergangenen Jahren einige, wenn auch längst überfällige, kleinere und größere Erfolge feiern können.
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Aus der out! – Zeitschrift des Jugendnetzwerks Lambda e.V. (Sommer 2020, Nr. 52). Die ganze Ausgabe gibt es hier.