Liebes Team, ich bin bisexuell und in einer Beziehung, die nach außen hetero wirkt (cis-Frau und cis-Mann). Ich fühle mich nicht immer willkommen in queer spaces, weil man mir ein Hetero-sein unterstellen könnte und ich Angst habe, dass Leute mir meine Sexualität aberkennen. Hilfe!“ – Anastasia, 23

Hallo liebe Anastasia,

erst einmal danke für deine Zuschrift und das Vertrauen, das du uns entgegenbringst.

Die Situation, die du schilderst, nämlich, nicht immer in queer spaces willkommen zu sein, ist eine sehr schmerzhafte und dennoch: Du bist nicht alleine damit. Einige Bisexuelle, darunter auch ich, haben schon mal Blicke von der Seite oder blöde Kommentare abbekommen, die aber glücklicherweise nicht die Meinung und das Verhalten aller LSBTIQ*s widerspiegeln.

Leider haben auch in der LSBTIQ*-Community einige Menschen eine sehr konkrete Auffassung davon, wie „queere Menschen“ zu sein haben. Manche Urteile werden vor-schnell gezogen, allein dadurch, dass eine Frau einen Mann küsst – und angenommen wird, sie sei hetero.

Von vielen Menschen weißt du vielleicht auch selbst nicht, dass sie bisexuell sind oder unterstellst ihnen unterbewusst Heterosexualität, so wie andere das bei dir tun könnten.

So ein Bild herrscht in unserer Gesellschaft immer noch vor und wird, auch unabsichtlich, reproduziert und unreflektiert übernommen. Bi-Erasure, also die Unsichtbarmachung von Bisexualität, ist ein tatsächliches Problem, an dem wir als Gesellschaft meiner Meinung nach noch mehr arbeiten müssen.

Aber natürlich existiert Bisexualität! Das „B“ in LSBTIQ* ist ja aus gutem Grund Teil des Akronyms, und gehört genauso in die Community – und du damit auch!

Es gibt zum Beispiel eine Studie von der Organisation MAP, die feststellt, dass Bisexuelle in den USA 52 Prozent der queeren Community ausmachen.

Viele bisexuelle Menschen haben die Community stark beeinflusst mit ihren Taten, und damit kannst du auch mal kontern, sagen, wie wichtig Bisexuelle für die Community sind. Nur um mal Beispiele zu nennen, wäre da Brenda Howard, die „Mutter des Pride“, Fritz Klein, ein US-ameri-kanischer Arzt, der als Wegbereiter der Bi-Bewegung gilt, Kyrsten Senema, eine offen bisexuelle US-Senatorin, oder der deutsche DJ Felix Jaehn.

Wenn man in einer Beziehung ist, kommt es vor, dass man anfängt, sich selbst darüber zu definieren, oder von anderen definieren zu lassen. Identität – dazu gehört auch zum Beispiel die sexuelle Orientierung – ist etwas ganz Persönliches, und wird allein durch dich definiert. Deine Identität hängt von keiner anderen Person ab. Und das ist das Schöne – du allein hast die Macht darüber zu sagen, wer du bist.

Niemand, absolut niemand kann dir das absprechen, und allen, die das versuchen, könntest du etwas entgegnen wie: „Du hast dich mir grade zwar als Anna vorgestellt, aber ich finde, du siehst viel eher aus wie eine Maria. Deshalb nenne ich dich ab jetzt Maria. Das ist doch sicher okay für dich?“ –

Das wirkt jetzt fast lachhaft und ist sicher keine geeignete Entgegnung in einem Gespräch, unterstreicht aber, wie sehr es an den Haaren herbeigezogen ist, dass man einer Person die Orientierung oder Geschlechtsidentität ansehen kann.

Bestimmt hast du aber auch schöne Momente in der Community oder bei deinem Coming-out erlebt, bei denen du das Gefühl hattest, deine Bisexualität wird völlig akzeptiert. Du kennst sicher Menschen, die dich bedingungslos akzeptieren und mit denen du dich gerne umgibst.

Vielleicht kannst du ja auch mit deinem Partner darüber sprechen, was dich belastet, wie er dich vielleicht beim Wohlfühlen in queer spaces unterstützen kann, oder einfach deinen Gefühlen Platz geben. Auch der Austausch mit anderen Bisexuellen könnte dir helfen, übers Internet oder vielleicht auch in einer Jugendgruppe in der Nähe, die auch manchmal eine eigene Gruppe für bisexuelle Menschen anbieten.

Fazit: Du schuldest niemandem eine Rechtfertigung für deine Bisexualität. Versuche, dir in unangenehmen Situationen bewusst zu machen, dass du dich mit deiner eigenen Identität wohlfühlen darfst. Wenn es Leute gibt, mit denen du dich umgeben kannst, die dich darin unterstützen, dann tu es – das könnte dich sicherlich noch mehr bestärken!

Ich wünsche dir und deinem Partner alles Gute und viel Mut.

Deine Sara“

Sara, 24, beansprucht das Label “bisexuell” gerne für sich, regt sich aber regelmäßig auf, wenn Leute sie zwingen wollen, sich für “eine Seite zu entscheiden”. Sie hasst Entscheidungen nämlich, egal, ob es um die Liebe zu verschiedenen Geschlechtern geht, oder darum, welches Buch sie als nächstes lesen möchte.

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Aus der out! – Zeitschrift des Jugendnetzwerks Lambda e.V. (Sommer 2020, Nr. 52). Die ganze Ausgabe gibt es hier.