Queere Community früher und heute. Ein kleiner Blick in die Geschichte der queeren Aktivist*innen Bernd Gaiser und Anke.

Von Lis Walter

Bernd beim Protest gegen LSBTIQ-freie Zonen in Polen im März vor einer polnischen Kultureinrichtung am Hackeschen Markt in Berlin.

Community ist für Bernd dort, wo er lebt. Denn der Aktivist und Autor wohnt seit 2012 mit einer Handvoll queerer Menschen zwischen Ende 20 und 85 Jahren im ersten queeren generationenübergreifenden Wohnprojekt – dem „Lebensort Vielfalt“ – in Berlin.

Das Projekt, das von der Berliner Schwulenberatung erkämpft und gegründet wurde, bietet eine Struktur, die es queeren Bewohner*innen jeden Alters, mit und ohne Pflegebedarf, er-möglicht, gemeinsam möglichst frei und sicher zu leben.

Seinen Lebensmittelpunkt verlagerte Bernd 1967 für seine Ausbildung zum Buchhandels-gehilfen von Glückstadt nach West-Berlin. Dahin, wo 1971 mit der Aufführung von Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ die Entstehung der Schwulen- und Lesbenbewegung angestoßen wurde.

In eine der im Kino Arsenal ausliegenden Adressenlisten trug auch Bernd seinen Namen ein. Noch im selben Jahr gründete sich, mit Bernd als Mitglied, die Ho-mosexuelle Aktion Westberlins (HAW). Das war für Bernd der Auftakt, aktiv zu werden und sein Schwulsein öffentlich und sichtbar zu machen.

Konkret gelungen ist das Pfingsten 1973 mit der ersten größeren Aktion der HAW: 450 Queers, die sich damals noch nicht so nannten, demonstrierten lautstark über den Ku’damm. Bernd erinnert sich an das Gefühl der Erleich-terung. Gemeinsam an die Öffentlichkeit zu treten, sich zu outen – privat und öffentlich. Sein eigenes Schwulsein und, wie er es selbst nennt, Tuntensein nicht mehr zu verstecken, sondern zu zelebrieren. Selbstbewusstsein hat das gebracht, sagt Bernd.

Das Gefühl der Erleichterung. Gemeinsam an die Öffentlichkeit zu treten, sich zu outen – privat und öffentlich. Sein eigenes Schwulsein und Tuntensein nicht mehr zu verstecken, sondern zu zelebrieren.“

Selbstbewusstsein nicht nur, um sich gemeinsam nach außen darzustellen, sondern auch um innerhalb der Gruppe Dinge an- und auszusprechen, die nicht in Ordnung waren. Wie toxische Bilder von Männlichkeiten und Geschlechterrollen.

„Dass sich die Männer wichtiger nahmen als die Frauen“ kritisiert Bernd heute, wenn er auf die Zeit zurückschaut. Anders als die queere Community heute, unter der sich regenschirmartig alles wiederfindet, was nicht der gesellschaftlich verankerten Cis-Heteronormativität entspricht, gab es zwischen der Bewegung der schwulen Männer und der lesbischen Frauen so gut wie keine Überschneidungen. Das lag auch daran, dass sich die Lesbenbewegung aufgrund allgemein feministischer Gesellschaftskritik von der Schwulenbewegung ablöste.

Daran erinnert sich auch Anke, die ein paar Jahre später – in den 80ern – ihr (erstes) Coming-out hatte. In Hamburg, nachdem sie ihre konservative Kleinstadt verlassen hatte und im Frauenmusikzentrum zwischen queeren und lesbischen Frauen einen Raum fand, der ihr Rückhalt gab.

Anke erzählt, dass es in der Frauenbewegung der 80er und 90er besonders wichtig war, sich dem binären Geschlechtersystem zuzuordnen und sich als Frau zu identifizieren – um sich politisch klar abzugrenzen, sich zu benennen. Dabei fühlte sich Anke, heute 56, damals nicht anders als heute: „Das war für mich ganz klar, okay, ich bezeichne mich als Frau, auch wenn mein Gefühl sagt: Das ist aber jetzt eine kleine Lüge.“

Den Begriff nicht-binär findet Anke erst später und merkt: Das passt! Das Coming-out als nicht-binäre Person in ihrer Generation war gar nicht mal so leicht. Da war viel Erklärung nötig. Anke erklärt sich das damit, dass ihre „Generation nicht damit aufgewachsen ist, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.“

Doch heute, erzählt sie, sind die Wege da, werden bereitet und beschritten. Es gibt keinen Zwang nach einem Entweder-Oder, dies oder das.

Die jüngere Generation in der Szene nimmt Anke offener und bunter wahr. Die Community bietet mehr Räume und Möglichkeiten, Begriffe und Vorbilder. Auch heute ist die queere Community für Anke noch Teil ihres Lebens und ihrer Geschichte. Mensch hat so viel Zeit geteilt und Entwicklung voneinander mitbekommen: „Auf die kann ich mich auf eine ganz unverbindliche Art und Weise verlassen.“

Unser Gespräch endet und mir schweben Ankes Worte weiterhin im Kopf herum. Auch heute bildet die queere Community keine Gegengesellschaft zu dem unterdrückendem System, in dem wir leben – auch hier findet Sexismus, Rassismus und Ableismus seinen Weg hinein.

Deshalb ist es auch heute immer noch von riesengroßer Bedeutung, sich in der Community tagtäglich damit auseinanderzusetzen, Räume des Austauschs und der Aufklärung zu geben, Fehler zuzulassen und gemeinsam miteinander und übereinander zu lernen.

Aber Ankes letzter Gedanke spricht mir trotz dieser Schwierigkeiten aus dem Herzen: Da sind Menschen, die zeigen sich solidarisch mit den Struggles queerer Menschen. Das fühlt sich für mich unwahrscheinlich erleichternd und warm an. Mit diesem Gedanken gehe ich gern durch die Welt.

Aus der out! – Zeitschrift des Jugendnetzwerks Lambda e.V. (Winter 2020, Nr. 54). Die ganze Ausgabe gibt es hier.