Zum Bundestagswahl-Wochenende | Artikel aus der out! – Zeitschrift des Jugendnetzwerks Lambda e.V. (Herbst 2021)


Selten war das Wahlkampfklima so rau wie bei dieser Bundestagswahl. Doch wie ist eigentlich das Klima bei den Parteien im deutschen Bundestag, wenn es um queere Themen geht? Emily Kossak aus dem out!-Team hat sich für die out! die Wahlprogramme angeschaut. ?️‍?

SPD

2021, vier Jahre nach der Einführung der Ehe für Alle, verspricht die SPD im Punkt „Gleichstellung verwirklichen“ ihres Wahlprogrammes, Familienmodelle abseits von „Mutter, Vater, Kind“ rechtlich abzusichern und sich für das Adoptionsrecht einzusetzen.

Auch eine Reform des Transexuellengesetzes, die Aufnahme des Diskriminierungsverbotes aufgrund sexueller Identität in den Grundgesetzartikel 3.3, das Ende des Blutspendeverbots für schwule, bisexuelle und trans* Männer sowie ein nationaler Aktionsplan gegen Homo-, Bi- und Transphobie sind mit der SPD drin.

Doch so richtig traut sich die SPD nicht: das Parteiprogramm ist oft eher schwammig, anstatt konkreter Pläne betont die SPD lediglich, sich für „Anerkennung und Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans-, Inter- und queeren Menschen (LSBTIQ*)“ einzusetzen.

Mehr noch: vieles von dem, was sie im Wahlprogramm fordert, hat sie zuvor im Parlament verhindert, beispielsweise das Selbstbestimmungsgesetz und die Aufhebung des Blutspendeverbots. Auch die Abstimmung über die Aufnahme des Diskriminierungsverbotes nach sexueller Identität verhinderte sie gemeinsam mit der Union, mit der sie in einer Großen Koalition regiert.

Kevin Kühnert, Chef der Jugendorganisation Jusos, kandidiert als offen schwuler Abgeordneter für den Bundestag in Berlin.

Grüne

Queergrün feiert das Wahlprogramm der Grünen als „das queerste grüne Grundsatzprogramm aller Zeiten“: Denn auch die Grünen möchten den Artikel 3.3 des Grundgesetzes um die Diskriminierung aufgrund sexueller Identität erweitern, sie fordern eine Aufhebung des Blutspendeverbots und die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes für trans* Menschen sowie ein Verbot von nicht notwendigen Operationen intergeschlechtlicher Kinder.

Im Mittelpunkt der Queerpolitik der Grünen steht außerdem der Aktionsplan „Vielfalt leben!“, der queere Organisationen und Vereine unterstützen und queerfeindliche Hasskriminalität bekämpfen soll. Zudem soll insbesondere auf dem Land eine Aufklärungskampagne über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt bilden und für Queerfeindlichkeit sensibilisieren. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode haben die Grünen das Selbstbestimmungsgesetz, die Änderung des Diskriminierungsverbotes sowie des Adoptionsrechtes ins Parlament eingebracht.

Mit Tessa Ganserer, Mitglied des bayerischen Landtages, und Nyke Slawik von den Grünen in NRW, könnten im September auch die ersten trans* Frauen in den Bundestag einziehen.

Die Linke

Ohne Zweifel ist die Linke die Partei mit dem detailliertesten queeren Wahlprogramm. Wo es anderen Parteien noch an Konkretheit mangelt, fordert die Linke einen einfachen und vollständigen Zugang zur Familienplanung für queere Menschen, ein Wahlverwandtschaftsrecht und eine Erneuerung der Lehrpläne, die die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten abbilden.

Die Linke möchte einen Rettungsschirm für von Corona betroffene queere Menschen sowie Wohn- und Zufluchtsorte für junge Queers. Wie die Grünen fordert sie einen Nationalen Aktionsplan gegen Queerfeindlichkeit, außerdem soll die Antidiskriminierungsstelle des Bundes besser finanziert werden, um Beratungs- und Bildungsangebote auszuweiten.

Neben dem Selbstbestimmungsgesetz möchte die Linke allen trans* Personen freien Zugang zu allen notwendigen medizinischen Leistungen ermöglichen. Darüber hinaus fordert sie geschlechtsneutrale Toiletten und Waschräume, ein vollständiges Verbot der Konversionstherapien und queere Gesundheitszentren insbesondere in ländlichen Gegenden.

Auch an queere Geflüchtete denkt die Linke: sie sollen durch Fachstellen und dezentrale Unterbringung abgesichert werden. Hasskriminalität gegen queere Menschen soll bundesweit erfasst und strafrechtlich verfolgt werden. Trans* und inter* Personen, die gegen ihren Willen operiert wurden, sollen durch einen Fonds entschädigt werden.

Madeleine Eisfeld, Direktkandidatin aus dem Wahlkreis Köln, setzt sich für die Rechte von trans* Menschen ein und könnte nach der Bundestagswahl für die Linke im Parlament sitzen.

FDP

Der Wahlkampffokus der FDP ist die Digitalisierung – aber auch für die Rechte von Queers hat die FDP insgesamt 18 Forderungen aufgestellt. Dazu gehören ein Nationaler Aktionsplan gegen Homo- und Transfeindlichkeit, nach dem queerfeindliche Straftaten so wie rassistische Übergriffe behandelt werden sollen, die Erweiterung des Artikels 3.3 des Grundgesetzes sowie das Selbstbestimmungsgesetz für trans* Menschen.

Zudem fordert die FDP die Bundesregierung auf, europaweit gegen Queerfeindlichkeit zu kämpfen – und unter Umständen die Zusammenarbeit mit staatlichen Einrichtungen zu beenden, wenn queere Personen kriminalisiert werden. Ähnlich wie die Istanbuler Frauenrechtskonvention soll es eine Konvention für queere Rechte geben, die „LGBT-freien Zonen“ in Polen sowie queerfeindliche Übergriffe bezeichnet sie als „mit europäischen Werten nicht vereinbar“.

Der Queer-Sprecher Jens Brandenburg, Konstantin Kuhle, Generalsekretär der FDP Niedersachsen, und der 28-jährige Daniel Rüdel aus Niedersachsen könnten als queere Abgeordnete die FDP im Bundestag vertreten.

CDU

Während SPD, Grüne, Linke und FPD sich zumindest auf das Selbstbestimmungsgesetz, die Anpassung des Grundgesetzartikels 3.3 und das Ende des Blutspendeverbots einigen können, sieht es bei der CDU eher dürftig aus: Queers erwähnt sie mit keinem Wort im Wahlprogramm.

Auch wenn der offen schwule Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sich das Verbot der Konversionstherapien auf die Fahne schreibt, hat die CDU zuvor im Bundestag gegen die Aufhebung des Blutspendeverbots und den Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes gestimmt und eine Abstimmung über die Anpassung des Grundgesetzartikels 3.3 verhindert.

Kanzlerkandidat Armin Laschets enger Berater Nathanel Liminiski ist außerdem in der Vergangenheit durch homophobe Äußerungen aufgefallen.

AfD

Bei der AfD weht ein kalter Wind, wenn es um queere Themen geht: Sie sieht die Kleinfamilie als Keimzelle der Nation und fordert, Kinder von „Genderwahn und Klimahysterie“ fernzuhalten. Sie betrachtet die „biologische Geschlechterbindung des Menschen […] nicht als Last, sondern als Geschenk“, und möchte Gelder für Gender Studies streichen. Queere Politik ist für sie nichts als Ideologie, Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt denunziert sie als „Indoktrination“. Wenig überraschend, stimmte sie im Bundestag gegen das Selbstbestimmungsgesetz und die Aufhebung des Blutspendeverbots.

Als einzige Partei des Bundestages hat die AfD keine*n Queer-Sprecher*in.