„Coming Home“ – eine Coming-out-Story aus der aktuellen out!-Ausgabe.


Wir schreiben den 24. Mai 2021. Nach einem sehr emotionalen Telefonat mit einer Freundin entscheidet sich E., dass nun der Moment da war. „Einfach das Pflaster abreißen, es wird wehtun, ob jetzt oder wann anders“, denkt sie sich. Eine Stunde später wusste ihre Familie, innerhalb derselben Woche ihre besten Freund*innen Bescheid. Sie war nun offiziell lesbisch.

Diese Sätze könnten meine gesamte Coming-out-Story sein. Es ist doch alles gesagt, oder nicht? Warum muss ich mich dann überwinden, diesen Text zu schreiben? Warum fühlt es sich so beängstigend an – sogar als anonyme Autorin – einem Publikum, das ich wohl beim Lesen dieses Textes nicht sehen werde, nochmal zu sagen, dass ich lesbisch bin?

Ich fühle mich wie am 24. Mai 2020. Ich weiß tief im Inneren, dass ich akzeptiert werde. Ich bin mir meiner privilegierten Position, keine Angst vor Ablehnung im engen Kreis haben zu müssen, bewusst. Aber genau darum soll es gehen. Das Gefühl, beziehungsweise das Nicht-Gefühl, von Aufatmen. Es geht um die Suche nach Katharsis, nach einer Reinigung.

Derselbe Bekanntenkreis ist es nämlich auch, von dem ich oft höre, wie unfair es doch eigentlich sei, dass nicht-heterosexuelle Menschen sich outen müssten und andere nicht. Und das ist der Punkt, an dem sich all das Ringen mit mir selbst so illegitim anfühlt. Dann atme ich tief durch und lasse die Bruchstücke in meinem Kopf sich langsam zu Sätzen zusammenfügen.

Ich erkläre das Wichtigste, dass mein persönliches Coming-out nicht für Andere ist, sondern für mich. Würde ich versuchen, meine Coming-out-Story mit mehr als den einleitenden Sätzen zu erzählen, nähme sie kein Ende. Im Laufe der Jahre hat sich der Begriff Coming-out für mich immer wieder verändert. Es stimmt schon: „Herauskommen“, das wendet sich nach außen. Es klingt, als sei es für alle Anderen. Aber impliziert das nicht das Hoffen auf eine Auflösung?

Ich will nicht hören, dass es okay ist, dass es für dich kein Problem ist, dass deine beste Freundin auf Frauen steht, ich will kein „egal“ hören, kein Schulterzucken sehen. Ich will, dass meine Coming-out-Story eine Coming-Home-Story wird. Ich will gefragt werden, wie es mir geht.

Ja, es ist befreiend, dein „okay“ zu haben. Und so glücklich ich mich schätze und so sehr mir bewusst ist, dass Menschen in meiner Community sich dein „okay“ nur wünschen würden und so sehr ich mich manchmal für dieses Luxus-Problem schäme, so sehr plädiere ich auch immer für Ehrlichkeit.

Und wenn ich ehrlich bin, dann glaube ich, bin ich nicht die einzige, die manchmal da sitzt und sich fragt: „Wozu war das eigentlich alles?“ Ich wollte immer, dass die Ketten von mir abfallen, dass ich merke, wer ich bin und wer ich nicht bin, sobald ich aufhöre, mich anzupassen. Das ist das, was „aus mir herauskommen“ soll. Und es hört nicht auf. Während ich diesen Text schreibe, habe ich neue Reflexionen.

Jedes Mal, wenn ich jemandem sage, dass ich auf Frauen stehe, ist das ein Coming-out. Weil sich wieder was Neues in mir löst.

Weil was Neues herauskommt. Und vielleicht fühlt es sich irgendwann nicht mehr so an. Aber heute nicht. Heute bin ich noch verwirrt. Heute lerne ich noch, wer ich bin.

Vielleicht brauch ich ja einfach ein emotionales Telefonat mit mir. Vielleicht nehme ich dann all meinen Mut zusammen und sage mir selbst, dass ich lesbisch bin. Dann kommen die Tränen heraus und ich bin erleichtert.

Ich bin lesbisch. Ich werde nie aufhören, das genau so zu sagen. Ich bin lesbisch.

Niemand hat zu bestimmen, wie nötig das ist. Ich bin lesbisch. Niemand weiß, wieviel ich durchhabe bis zu diesem Punkt. Ich bin lesbisch. Niemand weiß, wieviel Ablehnung ich mir selbst gegenüber empfunden habe. Ich bin lesbisch. Meine erste Liebe war trotzdem keine Lüge. Ich bin lesbisch. Auch jetzt kennt niemand die ganze Geschichte, ich schreibe sie noch.

Ich bin lesbisch.


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