Von Emily Kossak | Aus unserer Mitgliederzeitschrift out!

„Also, ich könnte das ja nicht!“, ist wohl der Satz, den polyamore Menschen am häufigsten zu hören bekommen. Denn vielen von uns dreht sich der Magen bei der Vorstellung um, unser*e Partner*in könnte noch jemanden außer uns toll finden. Trotzdem möchten immer weniger Menschen sich auf einen Menschen festlegen: laut einer Studie aus den USA könnten sich 17 Prozent der Befragten eine polyamore Beziehung vorstellen, also dass sie selbst und/oder ihr*e Partner*in eine*n weitere*n Partner*in haben.

Werden wir die traute Zweisamkeit in Zukunft also hinter uns lassen – zugunsten einer trauten Mehrsamkeit? Ist das ein Neuanfang für Beziehungen, wie wir sie bislang kannten?

Eines ist klar: Etwas Neues sind Beziehungen mit mehreren Partner*innen nicht. Insbesondere die Polygonie, also die Beziehung eines Mannes zu mehreren Frauen, existiert vermutlich so lange wie zwischenmenschliche Beziehungen selbst. Aber aus mesopotamischen Gebeten und aus dem Himalaya-Gebirge wissen wir auch von der Ehe einer Frau zu mehreren Brüdern sowie gleichgeschlechtlichen Ehen.

In vorindustriellen Gesellschaften, also vor etwa 1800, heiratete man, um Wohlstand, Land oder Macht zu sichern, nahm es aber mit der Treue meist nicht so genau. Denn an eines war das Eheversprechen nicht geknüpft: an die Liebe.

Erst mit der Entstehung einer kapitalistischen Gesellschaft war Wohlstand nicht mehr ausschließlich von der Weitergabe des familiären Besitzes abhängig – zumindest für Männer. Frauen, die nicht arbeiten durften, blieb Sex als einziges Handelsgut. Um sich das Überleben zu sichern, blieb ihnen nichts anderes, als dieses gegen die Ehe einzutauschen.

In dieser Zeit wurden zum ersten Mal sexuelles Eigentumsrecht, Liebe und die monogame Ehe miteinander verknüpft. Die bürgerliche Kleinfamilie samt Arbeitsteilung in Care- und Lohnarbeit entstand, und mit ihr die Geschlechterrollen der emotionalen, passiven Frau und des rationalen, dominanten Mannes. Die Notwendigkeit des einen Partners erzeugte den Mythos „Liebe“: unsere heutige Vorstellung von Romantik, Treue und Zweisamkeit.

Dieser Mythos „Liebe“ ist laut Soziolog*innen wie Şeyda Kurt und Liv Strömquist der Grund, warum wir Rosen am Valentinstag verschenken, Schmetterlinge im Bauch spüren und am Boden zerstört sind, wenn unser*e Partner*in fremdgeknutscht hat.

Und die Unterhaltungsindustrie tut ihr Bestes, um diesen Mythos zu füttern: in Büchern, Filmen und Musik schärft sie uns wieder und wieder die Spielregeln der romtischen Liebe ein, und diese sind patriarchal, heteronormativ und – monogam.

Vielen ist der Protest gegen traditionelle Geschlechter- und Beziehungsmodelle Grund genug, der Monogamie Adiéu zu sagen.

„Manche Menschen entscheiden sich aufgrund ihres Weltbildes für die Polyamorie“, sagt Caro Schulze vom Rat&Tat Zentrum für queeres Leben in Bremen. Sie berät Menschen zu Sexualität, Geschlechtsidentität und Beziehungen. „Andere haben schlechte Erfahrungen mit eifersüchtigen Partner*innen gemacht und können sich deshalb keine monogame Beziehung mehr vorstellen. Und manche können gar nicht anders, sie lieben einfach mehr als eine Person.“

Caro Schulze rät, sich intensiv mit der eigenen Gefühlswelt auseinanderzusetzen, bevor man sich für die Öffnung einer Beziehung entscheidet: „Man muss sich im Vorhinein im Klaren darüber sein, was man emotional zulassen kann. Dann kann man auch Absprachen treffen, die den eigenen Bedürfnissen entsprechen – und nicht nur aus Liebe gemacht werden. Und Absprachen sind das A und O einer polyamoren Beziehung.“

Zuletzt rät Caro Schulze, flexibel zu bleiben: „Polyamorie ist nicht für jede Person in jeder Lebenslage etwas. Und wer sich für Polyamorie entscheidet, muss das nicht für immer tun – wenn sich Lebensumstände und Bedürfnisse verändern, kann man auch das Beziehungskonzept daran anpassen.


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