Jeri von Fauchkrampf im Interview mit Leo, Olivia und Eva

Hinweis zum Inhalt:
Der folgende Text beinhaltet die Themen Sexismus, Suizid, Depression, Alkohol, Sucht, Transfeindlichkeit.

Jeri stellt sich als queere Autorin und Musikerin mit Sie oder keinen Pronomen vor. Sie hat mit uns über Queerness und Sexismus in der Punkszene, Nüchternheit, Autor*innenenschaft, das Selbstbestimmungsgesetz, ihr nächstes Buch und viele andere Themen gesprochen.

„Ich mach viele verschiedene Sachen und versuche, die verschiedenen Themenfelder zu verknüpfen. Den letzten größeren Beitrag, den ich für ein Buch geschrieben hab, war tatsächlich das Buch »Punk As Fck – Die Szene aus Flinta-Perspektive«. Mit dem Buch bin ich auch immer noch auf Lese-Tour.“

Das Buch »Punk As Fck« kam vor einem Jahr heraus und wird mittlerweile in der zweiten Auflage verlegt. In dem Buch berichten verschiedene Autorinnen von ihren Erfahrungen als FLINTA in der Punk Szene.

Leo: Wie bist du zum Schreiben gekommen?

Jeri: Schreiben ist ja ein großer Begriff. Ich schreibe Rezensionen, Porträts, Gedichte, Kurzgeschichten, Essays. Das sind halt alles ganz unterschiedliche Felder. Ich schreibe für Magazine, Zeitungen und aber auch für mich- Zines, underground Geschichten. Ich habe mit Theaterstücken angefangen, als ich so Anfang 20 war und hab Theaterwissenschaften studiert. Und wollte irgendwann in den Kulturjournalismus wechseln und hab dann als Theaterkritikerin gearbeitet. Hab das auch bei Siegessäule und L-Mag gemacht. Das Herzensschreiben ist eigentlich ein anderes. Das Herzensschreiben sind wirklich Kurzgeschichten und Drehbücher.

Eva: Welche Themen liegen dir beim Schreiben besonders am Herzen?

Jeri: Ich glaube, es geht viel um Gefühle und um Identität. Identität natürlich schon auch im Bezug auf Gender. Dann im Bezug auf meinem Platz in der Welt. Also für mich setzt sich Identität aus vielen Aspekten zusammen. Ich trinke keinen Alkohol. Und beschäftige mich viel mit dem Thema Sobriety – Nüchternheit, also auch gerade im Bezug auf FLINTA-Personen. Alkohol und Sucht ist ein total wichtiges Thema. Oder halt Räume, in denen ich mich bewegen kann. Oder nüchterne Communities. Also das gehört für mich zur Identität.

Leo: Du machst auch Musikmanagment.

Jeri: Ja, ich habe 2020 eine Booking-Agentur für FLINTA-Musikerinnen gegründet. Die heißt FAUCHKRAMPF!. Wir produzieren keine Musik, sondern vermitteln Konzerte, wir buchen Shows. Ich habe Künstlerinnen bei Anträgen geholfen. Sichtbarkeit, Repräsentation von FLINTA-Musikerinnen, das war mir wichtig und deswegen hab ich das ins Leben gerufen und auch um mit dem Vorurteil aufzuräumen, es gäbe kaum FLINTA-Musikerinnen. Da waren die LineUps immer voller Cis-Männer und diese haben behauptet, keine FLINTA gefunden zu haben. Aber ich bin dann gekommen mit meiner Agentur und hab gesagt, dass es die gibt. Es gibt genügend Menschen, die das jetzt betreiben. Ich kümmere mich gerade um andere Dinge.
Die Webseite der Agentur gibt verschiedene Künstlerinnen und »Freundinnen« an, wie Baumarkt, Black Square, Bullshit Boy, Riot Spears, sOpHoRt SuPpORT, Tigrrez Punch, Trainingseinheit Katzenkotze, Traashboo, VALLEY OF THE SLUTS und Cava. Auch auf #Punktoo wird verwiesen. Der Hashtag klärt über Sexismus in der Punkszene auf.

Auf den Einstieg in die Punkszene angesprochen, erzählt Jeri davon, aus „einer Notwendigkeit“ im ostdeutschen Dorf zum Punk gekommen zu sein.

Jeri: Es gab nichts außer Nazis und wenig zu tun. Es gab ziemlich viel Unruhen in der Zeit, grade in Ostdeutschland durch die ganzen Nazis, die sich dort sehr unverblümt ausgebreitet haben. Es war halt einfach eine Notwendigkeit, sich da zusammenzutun und was dagegen zu unternehmen… Es war auch schon eher ein Antifa-Charakter. Aber es gab auch tatsächlich ne sehr ausgeprägte Punkszene in Jena – da wo ich herkomme, also viele Anlaufstellen, viele Konzerte, viele Demonstrationen. Also konnte ich mich da anschließen. Ich hab mich da ne Zeit lang sehr, sehr wohl gefühlt, bin dann aber relativ schlagartig wieder raus aus der Szene, weil mir halt aufgefallen ist, dass es einfach zu wenig Queerness und Offenheit dafür gibt. Es ist ja doch ne sehr hierarchisch strukturierte Szene gewesen, sehr heteronormativ. Ich hab das auch alles in dem Punk As Fuck Buch beschrieben. Das ist ja trotzdem Teil meiner Identität, die Idee von Punk. Ich mach jetzt auch ein neues Buch mit einer Freundin zusammen zum Thema Sexismus im Punk.

Das hier angekündigte Buch schreibt Jeri zusammen mit Ronja Schwikowski, die auch »Punk As Fck« herausgegeben hat. Vor nächstem Jahr ist das Buch allerdings nicht zu erwarten.

Olivia: Siehst du heutzutage bei jungen Punks mehr Queerness und Offenheit gegenüber der letzten 10 bis 20 Jahre?

Jeri: Ja, klar. Ich meine, ich spüre, wie sich die Musik verändert hat. Ich sehe, dass es viel mehr queere Symbole auf Jacken gibt. Mit meinem Label hatten wir Shirts, wo „Queer Punk“ drauf stand. Superviele Leute waren voll auf dieses Zeug heiß und das war vor 10 Jahren noch nicht so der Fall. Dabei ist Punk eigentlich Queerness an sich. Es gab dort ja immer viel Anderssein… Punk hat sich total verändert, die Subkultur hat sich verändert. Ich beobachte da schon einen Wandel und freue mich da total drüber. Gemerkt habe ich das bei meiner alten Band Brackwasser, wo schon jüngere Leute im Publikum waren. Love it.. Aber ich glaube, dass der Punkbegriff für jüngere Leute ein ganz anderer ist als für mich. Für mich heißt es nicht unbedingt destruktiv und anti sein, sondern eine Idee entwickeln.In der Band Brackwasser hat Jeri bis zur Auflösung gespielt. Mehr dazu weiter unten.

Olivia: Für viele hat Punk selbstverständlich etwas mit Queerness zu tun. Wenn man mit älteren Leuten darüber redet, ist es allerdings etwas sehr anderes- ein Ausbruch aus einer »Dorfbürgerlichkeit«.

Jeri: Ja, voll. Es gibt jetzt ganz andere Themen. Und ich glaube, dass Identität in den Subkulturen noch mal ein größeres Thema ist. Dann kommt noch Queerness dazu. Es gab das Wort „queer“ früher nicht. Als ich ein Teenager war, gab es „lesbisch“ und „schwul“. Und es gibt ja viel mehr. Ich war total dankbar, als ich gemerkt habe, dass es neue Begriffe gibt. Menschen educaten sich über das Internet gegenseitig – ich profitiere auch davon. Dasselbe mit Feminismus. Wir mussten das auch erst mal neu lernen oder verstehen, dass Feminismus intersektional sein muss, um zu funktionieren. Es hat sich so viel verändert. Ich finde es cool, welche Anfragen wir kriegen … Ich denke mir: Leute, ihr seid so sweet! Dieses freundliche „Was braucht ihr, um euch wohlzufühlen? Wir haben ein Awarenessteam“ Früher war ich froh, wenn wir zu einer Location kamen, die nicht vollgekotzt war. Es ist so ein Unterschied und das machen junge Leute, denen das wichtig ist. Ich fand es immer schwierig, mit den älteren Generationen Gemeinsamkeiten zu finden. Da ist so eine große Lücke.“ Die Abwehr, neue Sachen zu lernen … Auch Trot, dieses: „Wir haben so viel gekämpft… die Jugend hat es leichter.“ Ich glaube das nicht. Ihr habt die Erde, die kaputt geht. Es ist fies zu sagen: „Die Jugend hat es leichter!“ Es ist nie leichter. Ich glaube, dass es eine Art Verdrossenheit ist. Nach dem Motto: „Wir haben uns etwas aufgebaut und dann kommen alle mit ihren woken Begriffen.“ Ich verstehe, dass es für viele Ältere viel ist, neue Begriffe zu lernen. Ich muss ja auch verstehen lernen … vor allem über Dinge, die mich selber nicht betreffen. Ich glaube, es ist wichtig zu fragen: Was ist denn eigentlich mein Privileg?

Eva: Du meintest, dass der Begriff „Punk“ in verschiedenen Generationen unterschiedlich ist. Glaubst du, dass man sich trotzdem zusammenfinden und sich vereinen kann?

Jeri: Die Frage ist; will man das? Ich glaube nicht, dass es nur eine Community gibt. Im Punk gibt es genauso Abspaltungen wie im Hardcore oder im Metal. Und ich denke, dass Queerpunk etwas anderes ist wie Deutschpunk. Es ist schon möglich. Wenn du ein Punkfestival hast. Es kommt ganz darauf an, ob du da jetzt zehn 50-jährige Typen-Bands hinstellst. Dann kommen nur dieselben Leute. Aber wenn du sagst „Ok, hier kommt eine Queerpunk-Band, hier eine Coverband, hier eine FLINTA-Band.” Dann kriegst du auch wieder andere Leute, für die der Begriff attraktiv ist. Wenn es keine Identifikationsangebote im Punk gibt, kommen die Leute nicht. Das Anderssein zelebrieren. It’s fucking queer! Mit einer ganz tollen Truppe organisieren wir einmal im Jahr das LDCM-Festival in Potsdam. Das ist ein Festival für Punk, Hardcore und Screamo. Wir haben ganz liebevolle Policy. Es muss eine FLINTA-Beteiligung in jeder Band geben- und nicht nur am Gesang. Also sie muss höher sein als die cis Männer. Dazu recherchieren wir. Auch dazu, was die Leute für politische Statements haben. Es geht ja nicht nur um Identität – wir wollen keine Antisemitinnen dabeihaben. Und es gibt ein Rahmenprogramm. Dieses Jahr gab es zum Beispiel ein Scream-Workshop für Queers. Das war sehr empowering. Und ich habe auch ein Songwriting/Storytelling-Workshop gegeben. Die Leute, die da kommen, die kenne ich teilweise gar nicht. Das ist total super, weil wir das Angebot schaffen. Es geht um Community.

Leo: Du hast von Songwriting erzählt. Wie kommst du zum Songschreiben?

Jeri: Ich habe früher für Brackwasser Songs geschrieben, dort habe ich ja gesungen und das Schlagzeug gespielt. Gerade schreibe ich keine Songs – aber normalerweise schreibe ich Lieder genauso wie auch Geschichten. Ich habe ein Thema und dazu gibt es verschiedene Techniken. Es wäre sehr komplex, das jetzt zu erklären. Aber klar, es sind immer Themen, die mich – oder uns, ich schreibe ja nicht alleine – beschäftigen. Bei »muerte al macho«, wo ich gerade bin, geht es auch um Femizide. Das ist das Hauptthema, das hat halt unsere Sängerin eingebracht. Sie macht das richtig gut, sie ist sehr klasse.

Leo: Du hast deinen Namen geändert, welche Auswirkungen hatte das für dich?

Jeri: Ich habe angefangen, unter bürgerlichem Namen zu publizieren. Als ich bemerkt habe „Das passt nicht mehr, ich will den Namen loswerden.“, musste ich Entscheidungen treffen. Das ist ein total schwieriges Thema. Für mich fühlt sich das nicht gut an. Jetzt gibt es ja das Selbstbestimmungsgesetzt – da kann man drüber diskutieren. Trotzdem gibt es dann die Möglichkeit, den Namen zu ändern. Das werde ich auch machen, dann wird es vielleicht ein bisschen leichter werden. Dann werde ich vielleicht auch selbstbewusster.“ Ich finde es so absurd. Wenn Menschen heiraten, wird das gleich total angenommen. Dann ist es nicht mehr Müller, sondern die Meier. Anders ist das bei der selbstbestimmten Namensänderung, die für mich sehr mit Identität zu tun hat, nicht nur Genderidentität. Als FLINTA Person ist es richtig beschissen, dass mir mein Körper nicht gehört. Und der Name ist etwas, was mir jemand gegeben hat. Den habe ich mir nicht selber ausgesucht. Ich finde, es ist was total Emanzipatorisches zu sagen: „Ich will einfach so heißen.“ Und nein, das ist kein Künstlerinnenname. Ich will diesen Namen einfach haben. Ich glaube, dass ist so ein bisschen die Schwierigkeit, dass diese Erklärung nicht angenommen wird. Es nervt einfach, das zu besprechen. Das macht es anstrengend.

Leo: Wie stehst du zum Selbstbestimmungsgesetz?

Jeri: Du wirst kriminalisiert. Das ist ein schlecht gemeinter Kompromiss. Du machst dich sofort verdächtig. Es ist total transfeindlich. Das fing ja schon an mit diesen schwachsinnigen AFD-Aussagen – „Jeder könnte irgendwie in die Frauenumkleide gehen unter falschen Namen.“ an. Irgendeine Politikerin hat etwas Gutes dazu gesagt: „Wir leben in Deutschland,. Wenn ich irgendwo eine nackte Frau sehen möchte, gehe ich in die Sauna.“ Es geht ja nach wie vor darum, etwas klein zu fassen und zu sagen: „Na gut, wir machen diesen Kompromiss. So richtig finden wir das nicht, vielleicht können wir es euch irgendwie schwerer machen.“ Und ich glaube, wenn das kommt, wird das richtig spaßig für die Behörden werden. Eigentlich sollten es alle machen. Its my fucking choice! Feiern tue ich nicht, dass es das gibt. Aber ich werde es trotzdem nutzen. Ich finde es auch ätzend, dass es über einen Pass eine Legitimierung gibt. Dass es nicht gilt, wenn ich sage: „Das ist mein Name und meine Pronomen“ es gibt ein ganz starkes Bedürfnis in dieser Gesellschaft nach Auskunft. Ich will alles über dich wissen, aber deine selbst gewählten Pronomen werde ich abwerten.

Eva: Eine Person ist neu in der Musikrichtung und möchte gute Bands finden, weiß allerdings nicht, wo man da anfangen soll. Was macht man da?

Jeri: Als ich nach Berlin gezogen bin, musste ich auch erst mal die ganze Musikszene kennenlernen. Ich hab tatsächlich viel nach Zines geguckt. Was gibts so für kleine, selbstorganisierte Feste? Ich bin einfach auf Konzerte gegangen und dann ging es relativ schnell, dass ich gesehen hab, wer hier überall spielt. Ich hab ja selber Musik gemacht und bin zu Jamsessions gegangen. Ich sprech jetzt nur vom Underground ne? Ich spreche hier jetzt nicht von Bands, die in irgendeiner Arena auftreten würden, sondern wirklich von Subkultur. Da kommst du sehr, sehr schnell rein, wenn du auf ein, zwei Konzerte gehst. So groß ist die Szene dann auch nicht. Du guckst einfach, was der Berliner Veranstaltungskalender hergibt. Ich geh auch alleine auf Konzerte. Ich denk mir, die Band interessiert mich und dann geh ich da hin. Dann trink ich ein Jever Fun und das wars für mich. Dann geh ich nach dem Konzert nach Hause. Geil. Schönen Abend gehabt. Nüchtern gewesen.

Liv: Was bedeutet denn Nüchternheit eigentlich für dich?

Jeri: Ein ganz tolles Tool zum selbstbestimmten Leben. Ein Zugang zu Gefühlen haben. Gefühle verstehen. Alkohol und sonstige Drogen sind grade bei queeren Menschen wirklich ein großes Thema. Viele queere Menschen können ja natürlich auch nicht trinken. Sollten sie ja auch nicht. Entweder wegen mental Health oder wegen Testo oder ähnlichen Sachen. Deswegen ist es für mich ein ganz wichtiges Tool, um Zugang zu Gefühlen zu haben und wach zu bleiben-, aktiv zu sein und eben nicht Sachen weg zu drücken.

Liv: War das etwas, was du für dich selbst entdeckt has? Und war es ein langer Weg dahinzu kommen?

Jeri: Auf jeden Fall ein längerer Weg. Es war auch notwendig. Ich hab halt irgendwie über 20 Jahre meines Lebens gesoffen wie n Loch ne? Ich komme aus der Punk-Szene. Es war einfach nötig. Ich musste aufhören zu trinken. Ganz klar. Ich kann auch nie wieder trinken. Ich würde gerne, aber das kann ich nie wieder machen. Und ich find´s ganz wichtig, da offen drüber zu reden. Wir leben halt in einer Alkohol-Kultur. Du bist ja mit Alkohol jeden Tag konfrontiert, unfreiwillig oder freiwillig. Mittlerweile hat sich ja mein ganzer Freundinnenkreis da auch geändert. Ich häng eigentlich nur mit Sobers rum. Das macht schon einiges aus. Früher war ich echt genervt-, auch wegen dummen Sprüchen- und jetzt weiß ich: „Ahhh, da ist ein Suchtproblem, good for you!“ Ich glaub, ich kann das viel mehr identifizieren, wenn es irgendwie so ne toxic Alkoholbehaviour gibt. Ich weiß auch, wie ich da rausgehen kann. Ich weiß, wie mein Abend läuft und ich weiß, wann ich im Bett sein will. Das wusste ich früher nicht. Früher war klar: Vorglühen, dann kommt erst mal ne ganze Weile nichts, dann ist Party, dann wird nachgeglüht und am nächsten Tag; was hast du dann? Emo-Kater. Und der wird immer schlimmer. Also solltet ihr saufen, enjoy, aber an einem gewissen Punkt wird der echt unaushaltbar. Das hat bei mir mit Mitte-Ende 20 angefangen, wo ich gemerkt hab: Ich wird high-end depressiv, wenn ich trinke. Es geht nichts mehr und ich spür nichts mehr. Nur noch Traurigkeit. Ich lass mich auf keine blöden Diskussionen mehr ein-, weder zum Thema Alk noch zum Thema Feminismus. Das war bei mir früher auch nicht so, aber jetzt denk ich mir: „Ja, sauft euch kaputt! Es ist völlig okay.“ Ich tu´s nicht, weil ich jetzt weiß, was ich gerne mag. Ich weiß nicht, warum du das Bedürfnis hast, das zu kommentieren, aber scheinbar musst du dich ja auch mit Alkohol auseinandersetzen. Ich weiß viel drüber, ich hab viel darüber gelesen. Ich bin super educated und nüchtern. Das ist wunderbar. Und trotzdem nicht weniger cool, ne? Das wollte ich noch mal dazu sagen: Alkohol und Coolness haben nichts miteinander zu tun. Ich find´s so cool, wenn Leute nüchtern sind.

Eva: Viele junge Menschen identifizieren sich dadurch, dass sie früh anfangen, Drogen zu nehmen. Nach dem Motto: „Meine Vorbilder machen das und deshalb mach ich das jetzt auch.“ Hast du ne Idee, woher das kommt? Warum ist das vor allem in der queeren Community und in der Punk Community so stark?

Jeri: Das kommt total drauf an. Wenn du irgendwie mit deiner Identität strugglest ist Mentalhealthein großes Thema. Ich mein Suizid-Rate und Depressionen bei queeren Menschen ist ein Thema. Ich weiß, dass das ein Problem ist und ihr wisst es auch. Jugendlich sein ist sowieso scheiße. Für mich war es ein Höllenritt. Ich war super emo. Für mich war es richtig schlimm. Ich wollt auch nicht mehr leben und habe auch nach destruktiven Vorbildern gesucht. Du willst dich ja damit identifizieren, weil du kennst ja den Schmerz. Versteh ich. Aber: Die coolsten Rockstars saufen nicht! Also schau mal, Kathleen Hanna von Bikini Kill ist nüchtern. Es gibt richtig viele nüchterne Rockstars: Bonnie Bloomgarden von den Death Valley Girls, eine der geilsten Bands on the planet. Sade Sanchez von LA Witch? Nüchtern! Sookee? Nüchtern! Es gibt Vorbilder. Man muss sie nur suchen, ne? Meine letzte Band „Brackwasser“; wir waren alle nüchtern. Wir waren drei Sober-Dykes on stage. Wir haben da auch Songs drüber gemacht. Ich kann dir nur empfehlen, sich einfach Vorbilder zu suchen. Nicht nur welche, die weit weg sind, sondern auch im nahen Umfeld. Alkohol ist einfach wirklich scheiße. Ich versteh´s, wenn man sich mal abschießt. Aber ich find´s viel cooler und viel stärker, seine Gefühle durchzuleben. Auch wenn die schmerzhaft sind und scheiße. Gefühle sind einfach riesengroß, aber ganz wichtig. Und was ich über Gefühle gelernt hab: Sie gehen weg. Man ist nicht stuck in einem Gefühl. Sie gehen immer weg, alle schlechten und alle guten Gefühle. Aber nur wenn du lernst zu erlauben, dass sie da sind. Das kannst du nüchtern am allerbesten, dann ist es total angenehm zu wissen: Oh, ich hab heute einfach nur mal nen schlechten Tag. Es ist nur heute so. Das bleibt jetzt nicht den Rest meines Lebens. Aber es ist schwierig, das zu sehen, wenn man entweder immer besoffen ist oder ein Teenager. Das kannst du deinen Freund*innen sagen. Sag denen, du kennst ne Person, die ist supernüchtern und supercool.

Leo: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!

Ein Teil des Interviews findest du in der neuen out! Nr. 64 zum Thema Ästhetik. Diese erscheint in den kommenden Tagen und kann dann hier heruntergeladen werden. Das Interview entstand im Rahmen der Reach out! Ein Journalismus Workshop in Kooperation mit L-Mag und dem Special Media Verlag, der vom 22.-24.09.23 in Berlin stattfand.