von Jula Meidenbauer

Content Notes: Handarbeit/DIY – Do it yourself, Selbstausdruck

Die Nadeln klackern leise, ziehen die Wolle zwischen den Fingern hindurch und formen so Masche um Masche, Reihen um Reihe. Langsam aber beständig entsteht – nein, kein cremefarbener Pulli, auch kein Paar brauner Wollsocken – ein knallpinkes Tanktop mit der dezenten Aufschrift „Daddy“. Die Nadeln führt Basti, unter @bomstuh auf Instagram unterwegs, langjährige*r Stricker*in und selbsternannt „stunning f-word“. Bastis Gestricktes ist bunt und laut und queer und passen sehr gut zu deren[1] glitzernden Kreolen und ihrem prachtvollen Schnauzer.

So wie Bezeichnungen wie Mann, Otter, Bär, Twink fühlen sich auch die Tanktops im Laden für Basti irgendwie nicht ganz richtig an. Logischer Schluss: dann wird es eben selbst in die Hand genommen, das Label wie das Oberteil. „In dem Moment, wo wir sowas lernen, häkeln oder stricken oder nähen befähigen wir uns ja selbst Dinge herzustellen, die nur für uns sind.“ erklärt Basti in unserem Gespräch. Die binären Kategorien und engen Schönheitsnormen der (Fast) Fashion Sortimente lässt er damit weit hinter sich.

So strickt sich Basti durch queere Zugehörigkeiten, Ästhetiken und Geschichte. Deren aktuelles Projekt: ein „Hanky“. Diese Halstücher kommunizier(t)en in queeren und kinky Räumen je nach Farbe und Platzierung diskret die sexuellen Präferenzen der Träger*innen. Und das soll jetzt gestrickt werden? „Für mich wird es dann spannend, wenn Sachen zusammenkommen, die vermeintlich nicht zusammengehören“ erklärt Basti die selbstgemachten Hankies. Er kreiert damit ein Stück sexpositiver, queerer (Textil-)Geschichte in einem Medium, das eigentlich ganz und gar nicht mit Kink und Subkultur in Verbindung gebracht wird. Das Zusammenkommen von Queerness und Handarbeit ist dabei eigentlich gar nicht so abwegig. Kunstwissenschaftler Howard Risatti schreibt in A Theory of Craft:

“Handwerken ist queeren Identitäten ähnlich, indem beide nicht nur eine Art und Weise sind Dinge zu tun, sondern sie sind eine Art und Weise des Seins in der Welt und ihrer Systeme.”[2]  

So wie Stricken eine Fähigkeit ist, die durch Wissensweitergabe und vor allem ständiges Ausprobieren erlernt wird, ist auch die Entdeckung unserer queeren Identitäten oft ein langer, vielleicht sogar endloser Prozess. Wir sammeln Erfahrungen, Wissen und Beziehungen aus denen dann nach und nach, ohne Skript und ohne Regelwerk, eine ganz persönliche Definition der eigenen Queerness wächst. Und (handgemachte) Textilien haben dabei schon immer eine Rolle gespielt, besonders beim Experimentieren mit Geschlecht und Geschlechtsausdruck. Sei es Mamas Abendkleid, das Jackett des besten Freunds oder die alte Socke als Packer. Und was nicht passt, wird eben passend gemacht. Viele queere Menschen ändern das, was verfügbar ist zu dem, was sie brauchen. Wir passen es unseren aus der Norm fallenden Körpern, Identitäten und Bedürfnissen an. Aus abgelegter Kleidung oder eben schlichten Wollknäueln werden ganz persönliche Utopien eines authentischen Ichs. Das selbsthergestellte textile Kunstwerk eröffnet den Weg zu so vielen Rüschen, Schleifen und Spitzendetails, wie das Herz begehrt. Und mit der schicken Weste und Krawatte wirst du strickend zum Gentleman. Und wenn die Krawatte dann erst mit Glitzermotiven verziert wird…

Basti betont, dass schon dies durchaus nicht unpolitisch ist: „Als queere Person in der Welt, in der wir leben, ist jede Freude, die wir finden, auch Widerstand. Jeder Funken Freude, den man als nicht cis-het Mensch findet, ist erkämpft.“ Sie bleibt trotzdem nicht beim Persönlichen: „Jeder Akt, bei dem man etwas herstellt, hat ja Potenzial für eine Aussage. Und ich will schon was sagen mit meinem Zeug.“ Sei es eine gehäkelte trans Flagge in Reaktion auf transfeindliche öffentliche Diskurse, der Schriftzug „Knitting = Resistance“, den dey auf ein gestricktes Shirt gestickt hat, die knallige Farbe seines Daddy-Shirts oder die subtile Symbolik des Hankies. Und wenn einem bewusst wird, wie viele Stunden Friemelei und Youtube-Tutorials-Gucken in so einem handgemachten Objekt stecken, gewinnt die eingewebte Botschaft erst richtig an Gewicht. „Da steckt für mich halt auch unwahrscheinlich viel Queer Joy drin, dass man mit jedem Stück, das man macht […] halt wirklich reintun kann, was man möchte. Sei es eine Gender-Dimension oder irgendwie anders, irgendwie politisch.“ beschreibt Basti.

Selbermachen befähigt dazu, Gegenstände zu imaginieren und zu erschaffen, durch die man sich ausdrücken kann und die einen glücklich machen – unabhängig vom Angebot kapitalistischer Unternehmen. Die Entscheidung für das selbstgestrickte Halstuch, das keine Weltreise durch undurchsichtige Lieferketten und ausbeuterische Fabriken hinter sich hat, zwingt zur Auseinandersetzung mit eben diesen. Und genau das, „der Akt, etwas herzustellen in einer Welt, die eigentlich nur von uns will, dass wir konsumieren, ist auch schon inhärent Widerstand.“, davon ist Basti überzeugt. Die bewusste Investition von Zeit, Wissen und Geld in sich selbst und das Erlernen komplizierter Techniken anstatt des schnellen Griffes zum 5-Euro Schein im Laden – sich einer Aktivität hinzugeben, die so direkt mit dem eigenen Geschlechtsausdruck zusammenhängen kann, kann besonders für queere Menschen sehr befreiend sein. Und das nicht nur bezüglich des Ergebnisses der Strickerei, Häkelei oder Näherei. Schon diese Tätigkeiten an sich sind ja geschlechtlich besetzt. Stricken ist häuslich, kuschelig, feminin, so die geläufige Assoziation. Als Tätigkeit, die lange Zeit Teil unbezahlter Sorgearbeit war, wird sie noch immer kaum in ihrer Komplexität ernstgenommen und wertgeschätzt. Dabei war Stricken nie einstimmig, sondern schon immer Umdeutungen und -nutzungen unterlegen. Und auch Stricken als politische und widerständige Praxis ist nichts Neues. Verletzte Soldaten strickten im Zweiten Weltkrieg, um die Kollegen an der Front warm zu halten und Suffragetten, um sich über speziell gefärbte Schultertücher als solche erkennen zu geben.

Für Basti lässt sich das Stricken dennoch kaum vom kulturellen Kontext des netten Frauenhobbies trennen. „Es ist einfach mega gendermäßig konnotiert. Und das heißt der bloße Akt ist für mich schon queer. Ich finde es mega queer, wenn ich in der Öffentlichkeit stricke.“ Besonders als männlich gelesene Person sei dies für sie inhärent ein Akt des Widerstandes. Denn wenn Basti auf der Busfahrt nach Hause am Pulli weiterarbeitet, ist er stets mit den Reaktionen Anderer konfrontiert. Ein*e Stricker*in mit Moustache lässt wenige gleichgültig. Neben wohlwollenden Bemerkungen und persönlichen Anekdoten bekommt dey immer wieder auch Unverständnis und offene Abwertung zu spüren. Und auch wenn sie das Strickzeug zuweilen aus Sicherheitsgründen in der Tasche lässt, ist Bastis Reaktion auf Widerstand „jetzt erst Recht“. „Assimilation ist für mich das Schlimmste“, bekräftigt er. Öffentlich zu stricken, steht für Basti exemplarisch dafür, innerhalb einer queerfeindlichen Gesellschaft nicht länger möglichst wenig auffallen zu wollen. Den internalisierten Zeigefinger, der ermahnt, doch wenigstens nicht „so einer“ zu sein, ignoriert Basti mittlerweile, denn „genauso einer will ich eigentlich sein.“ Das (öffentliche) Stricken ist für sie also einerseits gemütliche Beschäftigung während langweiliger Zugfahrten, aber auch bewusste und zuweilen sogar genüssliche Provokation des cisheteronormativen Blicks von außen. Die Strickerei ist Alltagspolitik, Empowerment und eine fette Dosis Queerness.

Und das nicht nur für Basti. Ob ich stricke, um mich in den repetitiven Bewegungen zu verlieren und meinem stressigen Arbeitsalltag zu entkommen oder um bei der nächsten Demo ein handgemachtes Statement auf dem Pulli zu tragen – ich tue dies immer im Kontext einer kapitalistischen, cis-heteronormativen Gesellschaft. Ich verliere mich in Maschen und Reihen aus Garn und Wolle, tauche ab, bis die Außenwelt verschwindet. Da wird die Lofi-Playlist von Zalando-Werbung unterbrochen, beim kurzen Hochschauen ein skeptischer Blick des Sitznachbarn im Bus und ein Zurechtruckeln meiner zu langen Hemdsärmel. Und ich merke, dass auch ein vermeintlich unpolitisches Hobby nicht davon verschont bleibt. Gleichzeitig eröffnen sich dadurch immer wieder Schlupflöcher für den eigenen (kleinen) Wollwiderstand.

Ich geh mir jetzt erstmal neue Stricknadeln kaufen – Bastis Hanky-Anleitung kommt morgen raus!

Tipp: Falls du jetzt auch inspiriert bist, die Nadeln in die Hand zu nehmen: Über den Instagram-Account @strick_dich_frei werden gespendete Strick-Starter-Kits und Tipps an trans, inter und nichtbinäre Strickneulinge und alle, die strickend ihr Gender erforschen wollen verteilt.


[1] Basti ist nichtbinär und nutzt alle Pronomen

[2] Original: „Crafting is similar to queer identities in the way that each is not just a way of doing things but a way of being within the world and it’s systems.”