Queere Repräsentation und Community.

Von Male Soley

CN: Queerfeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Nicht-binärfeindlichkeit, Familie & Coming-out (und Schwierigkeiten dabei), misgendern

I wish you all the best von Mason Deaver ist ein Jugendbuch welches 2019 auf Englisch veröffentlicht wurde. 2023 wurde es von Luca Mael Milsch auf Deutsch übersetzt, Ich wünsch‘ dir nur das Beste. Außerdem wird der Roman momentan verfilmt. In I wish you all the best steht dier nicht-binäre Protagonistin Ben im Mittelpunkt.

Ich habe I wish you all the best wahrscheinlich das erste Mal in einem queeren Bücher Post auf Instagram gesehen. Wie so viele andere Bücher es dann erst einmal auf meine ewig lange Buchwunschliste gewandert und ich habe vergessen, worum es überhaupt geht und mir nur gemerkt: Es ist ein queeres Buch und ich will es lesen. Irgendwann habe ich es dann auf Englisch gekauft und gelesen. Ein halbes Jahr später habe ich auf eine Freundin in einer Buchhandlung gewartet. So wie immer, habe ich mir natürlich das queere Bücherregal angeguckt. So wie immer, habe ich Bücher neu auf meine Wunschliste gesetzt. So wie immer, habe ich mich darüber gefreut, die Bücher zu sehen, die ich schon kenne. Und auf einmal sehe ich da Ich wünsch‘ dir nur das Beste. Kurz bin ich verwirrt, das Cover kenne ich doch, aber irgendwas passt nicht ganz. Und dann merke ich, dass ich das Buch zwar kenne, aber noch nicht als deutsche Hardcover Ausgabe. Aus Neugier nehme ich es in die Hand, bin gespannt, wie die they/them Pronomen aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wurden. Ich schlage es auf und das Erste, was ich sehe, ist, dass das innere vom Einband als nicht-binäre Flagge gestaltet ist. Allein da weiß ich schon, dass ich das Buch haben muss. Ein Buch mit einer nicht-binären Hauptperson! Auf Deutsch! Mit einer Pride Flag im Innencover! Ich blättere weiter und finde eine Anmerkung der übersetzenden Person zu neutralen Pronomen im Deutschen. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sich das angefühlt hat. Ich habe inzwischen viele Bücher mit nicht-binären Personen gelesen, hauptsächlich auf Englisch.

Ich habe nicht erwartet, dass es so einen Unterschied macht, auf einmal ein deutschsprachiges Buch mit nicht-binärer Repräsentation in der Hand zu halten. Die Möglichkeiten, die sich mir auftun! Nur für den Fall, dass ich es mir wieder ausreden würde das Buch zu kaufen – ich habe es ja schon auf Englisch – sage ich mir, dass ich das Buch ja meiner Mama geben kann, zum Pronomen üben. Und um mich vielleicht ein bisschen mehr zu verstehen. Ich glaube zwar nicht, dass ich mich in Ben sehr wiedergefunden habe, aber einfach mal eine weitere Perspektive auf Nicht-Binarität schadet safe nicht. Ich habe mir das Buch dann trotzdem erstmal nicht gekauft, sondern noch gewartet, bis ich auf Durchreise bei meiner Oma war und einen Abstecher in einen queerfeministsichen Buchladen gemacht habe. Innerhalb der drei Tage, die ich dort war, lese ich das Buch – ich muss ja schließlich ganz genau wissen, was ich meiner Mama da zum Lesen gebe – und lasse es schließlich meiner Oma zum Lesen da, die es danach an meine Mama weitergibt.

Ich hoffe, dass das Buch meiner Oma das erklärt, was ich ihr noch nicht gesagt habe. Ich hoffe, dass das Buch es einfacher macht, wenn ich mich dann meiner Oma gegenüber nochmal richtig oute. Ich hoffe, dass meine Mama mit meiner Oma über das Buch redet, damit ich das nicht machen muss (und natürlich muss ich das eh nicht, aber ich wäre gerne bei meiner Oma geoutet).

Ich frage meine Mama mehrmals, wie weit sie mit dem Buch ist und später, ob sie schon mit meiner Oma darüber gesprochen hat. Meiner Mama habe ich explizit gesagt, dass ich möchte, dass sie das Buch liest, um Pronomen zu üben. Trotzdem sind die Gespräche, die über das Buch entstehen immer auf etwas anderes fokussiert: „Also Bens Eltern sind ja wirklich schlimm. So schlimm sind wir aber nicht, oder? Das willst du uns damit nicht sagen, oder?“ Und ich bin froh, über den Abstand, den wir gerade habe, dass meines Auslandssemesters sei Dank diese Gespräche nur am Telefon stattfinden. Wo soll ich da bloß anfangen? Dich dran erinnern, dass ich dir das Buch extra zum Pronomen üben gegeben habe? Dass schlimm nicht erst beim rausgeschmissen werden anfängt? Dass ich es fragwürdig finde, dass du dir nicht selbst herleiten kannst, dass ihr nicht so seid, wie Bens Eltern? Ben outet sich bei den Eltern als nicht-binär und wird rausgeschmissen. Als ich noch bei euch gewohnt habe, habe ich mich als asexuell und aromantisch geoutet. Eure Reaktion war vielleicht nicht die beste, aber ihr habt mich nicht rausgeschmissen. Und nachdem ich ausgezogen bin und mich dann später als nicht-binär geoutet habe, habt ihr das zwar auch nur so halb verstanden – und dann auch erst nochmal vergessen – aber ihr habt mich nicht verstoßen, finanziell abgeschnitten oder sonst irgendwas. Ich frage mich mal wieder, wie sehr unsere Wahrnehmungen auseinandergehen. Denkst du wirklich, ich habe dir das Buch gegeben, um zu sagen, „guck mal, so schlimm seid ihr. Auch wenn ihr nichts davon gemacht habt, was Bens Eltern gemacht haben“? Ja sicherlich, ein Teil von mir wollte dir auch mal zeigen, dass Coming Outs nicht spaßig sind, dass viel zu viele queere Kids und Teens genau gar keinen Rückhalt ihrer Familie haben, aber hauptsächlich wollte ich dir einen Anstoß geben, dich mal unabhängig von mir mit dem nicht-binär Sein zu beschäftigen. Vielleicht war das Buch dafür nicht so sehr geeignet, da es doch um sehr viele schwere Themen geht. Und das mit dem Pronomen üben hat auch nur so bedingt geklappt: Dadurch, dass Ben im Buch an der neuen Schule nicht geoutet ist und viel misgendert wird, hat meinen Mama das natürlich direkt mit übernommen.

Warum bin ich also trotzdem so begeistert von dem Buch? Ben outet sich gegenüber den Eltern und wird rausgeschmissen. Und das tut so unfassbar weh. Denn ja, Bens Geschichte ist fiktiv. Aber ich weiß ja, dass es trotzdem viel zu viele Bens gibt, denen genau das passiert. Ben kann bei Hannah, Bens älterer Schwester, die vor Jahren ausgezogen ist, unterkommen. Und das tut gut. Auch wenn die beiden sich erst einmal neu kennenlernen müssen, tut Hannahs Bereitschaft Ben aufzunehmen und zu unterstützen so gut. An der neuen Schule entscheidet Ben sich dazu, sich nicht zu outen und sich stattdessen weiter von allen misgendern zu lassen, da das Outing vor den Eltern nicht gut gelaufen ist und Ben Angst vor weiteren negativen Konsequenzen und der Aufmerksamkeit der anderen Schüler*innen hat. Für mich ist das so nachvollziehbar, der Gedankenprozess hinter dem „wann und bei wem oute ich mich?“ „Will ich mich outen oder mich misgendern lassen?“ „Was, wenn ich mich oute und trotzdem misgendert werde?“ „Ist es sicher, mich hier zu outen?“ An der neuen Schule lernt Ben Nathan, Meleika und Sophie kennen. Ungeoutet freundet Ben sich mit den dreien an und kommt insbesondere Nathan immer näher. Gleichzeitig überzeugt Hannah Ben davon sich mit einer Psychiaterin zu treffen, da Ben zusätzlich eine Angststörung hat. Dadurch lösen sich Bens Probleme zwar nicht in Luft auf, aber zusehen, wie Ben sich ein unterstützendes Netzwerk aufbauen kann und so auch mehr für sich selbst einstehen kann, tut gut. Und vielleicht ist das auch der Teil, der mich am meisten an mich erinnert: Ausziehen, in einer neuen Stadt mein Studium beginnen, in einer wunderbaren queeren Bubble landen und lernen, was queere Community (für mich) bedeutet.