Wieso Klimagerechtigkeit mit trans* Befreiung einhergehen muss.
von Chris Neuffer (Konzeptwerk Neue Ökonomie)
Indien, 2004: Ein Tsunami trifft am 26. Dezember die Küsten von Indien, Indonesien, Thailand und Sri Lanka. 230.000 Menschen sterben, 1,7 Millionen Menschen werden obdachlos. Aravanis [1] verlieren Tanzkostüme, Make-up und Werkzeuge, die sie für ihr Überleben benötigen. Ihnen wird der Zugang zu temporären Notunterkünften verwehrt. Auch in den Statistiken zu Todesopfern werden sie nicht aufgeführt. In Folge davon werden sie in vielen Nothilfe- und Wiederaufbauprogramm nicht mitgedacht, was ihnen die Rückkehr in ein würdevolles Leben erschwert. [2]
Auch nach dem Hurricane Katrina in den USA 2005 werden trans* Frauen aus Notunterkünften ausgeschlossen: Zwei trans* Frauen of Colour werden festgenommen [3], nachdem sie Sanitäranlagen gemäß ihres Geschlechts nutzen.
Auf schmerzhafte Art und Weise zeigt das, dass nicht alle Leben als gleich lebenswert gelten und LGBTQIA* Personen strukturell oft ausgeschlossen werden, wenn es um den Umgang mit der Klimakrise geht.
Sowohl global, als auch die Überschwemmungen im Ahrtal 2021 haben gezeigt: Wir sind mitten in der Klimakrise. Laut wissenschaftlichen Prognosen häufen sich solche Extremereignisse zunehmend. Und sie verstärken bereits bestehende Ungleichheiten. Denn Länder wie Deutschland, die USA oder Großbritannien haben historisch am meisten zur Klimakrise beigetragen. Jedoch sind es andere Länder wie beispielsweise China, Indien, Bangladesh und Äthopien, in denen die Menschen am stärksten von der Klimakrise betroffen sind: Sei es durch Überschwemmungen, Dürren oder extreme Temperaturen [4]. Dagegen regt sich Widerstand. Weltweit setzen sich Menschen für Klimagerechtigkeit ein. Sie machen darauf aufmerksam, dass die Klimakrise globale Ungleichheiten verstärkt und marginalisierte Menschen stärker trifft – je nachdem wo sie wohnen, wie ihre finanziellen Ressourcen sind, ob sie rassistisch diskriminiert werden, welches Geschlecht sie haben, wie ihre sexuelle Orientierung ist. Das ist ungerecht. Für Klimagerechtigkeit zu kämpfen heißt also für eine Umverteilung der Ressourcen zu kämpfen, die die Folgen der Umweltzerstörung abfedern. Es heißt, sich konkret für einen Schuldenschnitt für Länder des Globalen Südens und Reparationszahlungen für die vom Globalen Norden verursachte Klimakatastrophe einzusetzen [5]. Zugleich ist die Eindämmung der Erderwärmung oberstes Ziel.
Ähnlich wie in der Covid-Pandemie bildet sich ein Muster heraus, nämlich dass die Klimakrise mit ihren Auswirkungen Marginalisierung verstärkt: Wer vorher schon in einer Gesellschaft strukturelle Gewalt und Diskriminierung erfährt, den treffen Hitzewellen, Dürren und Überflutungen noch stärker. In Bezug auf die LGBTQIA* Community wird das besonders deutlich beim Umgang mit solchen Extremwettereignissen. Doch queere und trans* Personen organisieren sich, um deutlich zu machen, dass ihre Befreiung an den Kampf gegen die Klimakrise gekoppelt ist:
In Indonesien beispielsweise haben einige trans* Frauen das Projekt “Sanggar Teater Seroja” gegründet, um Bewusstsein für die Klimakrise zu schaffen [6]. Ausgang war dafür die Beobachtung, dass Hitzewellen und Regen vor allem trans* Frauen treffen, weil die trans* Community viel draußen in den Straßen ist. Eine Erklärung dafür ist, dass Sexarbeit eine ihrer Haupteinnahmequelle ist. Neben Filmabenden, Modeschauen und Diskussionen mit anderen Gruppen hat Sanggar Seroja eine Umfrage mit 80 trans* Personen in Jakarta durchgeführt. Ziel davon war es, herauszufinden, wie die Klimakrise sich auf Einkommen, Krankheitstage und Kaufkraft auswirkt. Das Ergebnis war: In der Regensaison sank das Einkommen um 93%, während 72% der Befragten höhere Ausgaben hatten. Rikky koordiniert die Gruppe und sagte, dass diese unvorhersehbaren Wettereignisse zu “Krankheit, Verschuldung, Stress, Konflikten mit Anwohner*innen und höhere Level an Gewalt” führten [7].
Auch direkte Unterstützung wird oft in der trans* Community selbst organisiert, so bei den Überflutungen in Pakistan 2022. Laut Sana Ahmed von der Gender Interactive Alliance (GIA) wandten sich betroffene trans* Personen aus Sukkur und Larkana direkt an die Organisation, weil sie weder Zugang zu Nahrung noch einer Unterkunft hatten. Ein Mitglied aus der trans* Community entwickelte dann eine App, um Geld zu sammeln und mehr Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse aus der trans* Community zu lenken [8].
All das zeigt: Queere und trans* Personen sind von den Folgen der Klimakrise stark betroffen und ihre Situation und Bedürfnisse werden selten von Regierungen mitgedacht. Die Klimakrise ist hier und jetzt. Wenn wir unser gegenseitiges Überleben sichern wollen, müssen wir füreinander eintreten, damit alle verstehen: Keine Klimagerechtigkeit ohne queere und trans* Befreiung!
Fußnoten:
[1] “Aravani” ist der tamilische Begriff für gender-nonconforming Personen, deren Geschlechtsidentität und -ausdruck feminin sind. Das steht oft in Konflikt mit einer konservativen Umgebung und Ursprungsfamilie, die “männliches” Verhalten erwarten.Die Bezeichnung ist vor allem in Südindien und Sri Lanka verbreitet. In Nordindien wird die Bezeichnung “hijra” benutzt.
[2] https://odihpn.org/publication/aravanis-voiceless-victims-of-the-tsunami/
[3] https://ajph.aphapublications.org/doi/full/10.2105/AJPH.2021.306406#_i13
[4] https://www.carbonmap.org/#PeopleAtRis5
[6] https://konzeptwerk-neue-oekonomie.org/wp-content/uploads/2024/04/Klimaschulden-und-Reperationen_Oumarou-Mfochive.pdf
[7] https://www.fairplanet.org/editors-pick/indonesias-trans-community-fight-climate-gender-stigma/
[8] https://www.context.news/climate-risks/indonesian-trans-women-seek-stable-work-amid-unpredictable-weather