Queere Aktivist*innen in Georgien
von Levi Berger
Anfang Dezember 2024 in Tbilissi: Auf dem Rustaweli Boulevard, einer zentralen Straße, an der das Rathaus der Stadt und das Parlament Georgiens liegen, sollte jetzt normalerweise die Errichtung des traditionellen beleuchteten großenWeihnachtsbaums vorbereitet werden. Seit zwei Wochen demonstrieren dort aber jede Nacht Tausende. Statt Weihnachtskugeln schmücken in diesem Jahr daher ausgedruckte Bilder inhaftierter Demonstrant*innen den Baum.
Die politische Situation in Georgien ist angespannt, besonders für die queere Community. Nach der Parlamentswahl im Oktober haben sich die Zustände im Land noch einmal verschärft.
Seit 2012 regiert dort die Partei „Georgischer Traum“, die vom Milliardär Bidsina Iwanischwili gegründet wurde. Zunächst galt die Partei als pro-europäisch und die Regierung trieb eine Annäherung des Landes an die EU voran. Im Jahr 2014 erließ sie etwa ein Anti-Diskriminierungsgesetz, das unter anderem die Rechte von queeren Menschen schützen sollte. Zudem erhielt Georgien erst 2023 den Status eines EU-Beitrittskandidatenlandes, wodurch der Beitrittsprozess offiziell vorbereitet wird.
Im Jahr 2023 traten jedoch mehrere Gesetze in Kraft, die die Zivilgesellschaft Georgiens stark einschränken. Das „Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme“, zwingt NGOs in Georgien, sich als „Ausländische Agenten“ anzumelden, wenn ihre Etats sich zu über 20% aus Fördermitteln aus dem Ausland zusammensetzen, etwa aus der EU oder aus den USA.Damit sind sie gezwungen, auf staatliche Nachfrage sämtliche persönliche Daten ihrer Mitarbeitenden offenzulegen. Sie könnten das Ziel von Verfolgung werden, wenn die Regierung sich entscheidet, gegen kritische Stimmen vorzugehen. Bereits im Rahmen der Proteste im Dezember hat sich gezeigt, wie das aussehen kann, als die Polizei Mitglieder von Jugendorganisationen oppositioneller Parteien zu Hause überraschte und ihre Wohnungen durchsuchte. Durch dieses Gesetz wird regierungskritische Arbeit riskanter und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass zivilgesellschaftliche Organisationen eher der Linie der Regierung folgen.
Das Gesetzespaket „zum Schutz von Familienwerten und Minderjährigen“, richtet sich gegen die LSBTIQ-Community. Es verbietet die Aufklärung über nicht-cisheterosexuelle geschlechtliche und sexuelle Identitäten in Bildungseinrichtungen, macht es gleichgeschlechtlichen Paaren unmöglich, ein Kind zu adoptieren und verwehrt trans* Menschen vollständig den Weg zu juristischen und medizinischen Transitionsmaßnahmen. Die Gesetzesänderungen erlauben eine breite Auslegung und könnten so jegliche Äußerung von Queerness oder Unterstützung in der Öffentlichkeit strafbar machen.
Die Gesetze basieren auf Vorbildern aus der russischen Gesetzgebung.
Georgien hat eine komplizierte Beziehung zu Russland: 1991 erklärte sich das Land unabhängig von der Sowjetunion. Seitdem hat es 1992–1993 und 2008 zwei Kriege in den Regionen Abchasien und Südossetien erlebt. Durch die russische Unterstützung der separatistischen Truppen im Kaukasuskrieg von 2008 kam es zum diplomatischen Bruch zwischen Georgien und Russland. Abchasien und Südossetien entziehen sich mittlerweile als autonome Republiken der Kontrolle Georgiens und stehen dabei unter dem Schutz Russlands. In den letzten Jahren hat die georgische Regierung daran gearbeitet, die Beziehungen zu Russland wieder zu verbessern. Die Übernahme autoritärer russischer Gesetze im Zuge dieser Annäherung bereitet vielen demokratischen Kräften im Land Sorge.
Viele regierungskritische Menschen setzten Hoffnung auf die Wahl im Oktober. Allerdings gewann der „Georgische Traum“ erneut. Unabhängige Wahlbeobachter*innen meldeten Wahlfälschung, etwa durch Einschüchterung und Beeinflussung der Wählenden, Bestechung, oder mehrfache Stimmabgabe. Insbesondere ländliche Regionen, in denen die Regierungspartei außergewöhnlich hohe Gewinne erzielte, sollen betroffen gewesen sein.
Angesichts der aktuellen repressiven Gesetzgebung verkündete die EU, dass der Beitrittsprozess pausiert werde, bis die Regierung von ihrem derzeitigen Kurs abweichen und sich der EU wieder annähern würde. Für die progressiven Kräfte in Georgien ist dies eine niederschmetternde Perspektive. Sie sehen in einer EU-Mitgliedschaft eine große Chance für politische und wirtschaftliche Verbesserungen und hoffen auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Die Proteste im Dezember begannen daher auch nach einer Ankündigung des Premierministers, dass die Regierung bis 2028 keine weiteren Schritte unternehmen werde, um den EU-Betritt Georgiens voranzutreiben.
Die georgische Bevölkerung hat dringende Probleme, die die Regierung politisch angehen müsste. Armut, eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und extrem steigende Mieten, insbesondere in der Hauptstadt, bedrohen (unter anderem) konkret die Existenz vieler Menschen. Statt Lösungen zu entwickeln, schürt die Regierung in einer immer noch sehr konservativen Gesellschaft, in der die orthodoxe Kirche großen Einfluss hat, Ablehnung und Angst vor der LSBTQI-Community. Queere Menschen werden als Inbild der Abkehr von traditionellen Werten implizit zum Sündenbock gemacht. So lenkt die Diskussion über sie die Menschen davon ab, dass die Regierung versäumt, Maßnahmen zu ergreifen, um die Lebenssituation der Bevölkerung zu verbessern.
Bereits im Frühling der beiden letzen Jahre gab es heftige Proteste auf den Straßen von Tbilissi: Das „Ausländische Agenten-Gesetz“ wurde zuerst 2023 angekündigt. In Antwort auf die Proteste nahm die Regierung es zunächst zurück. Ein Jahr später wurde es dann aber doch verabschiedet, wieder kam es zu Demonstrationen. Die Proteste wurden von staatlicher Seite teils auf brutale Weise niedergeschlagen. Die Polizei begegnete den Demonstrierenden mit Tränengas und körperlicher Gewalt.
Ähnlich sieht die Reaktion auf die Proteste im Dezember 2024 aus. Nicht nur Demonstrierende sind dabei von Polizeigewalt betroffen, auch Journalist*innen werden regelmäßig so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Polizist*innen werden hierfür nicht belangt. Unabhängige Medien berichten von maskierten Gangs, die sich nahe der Demonstration herumtreiben und Teilnehmer*innen attackieren.
Nach Beginn der Proteste erließ die Regierung eine Reihe an weiteren repressiven Gesetzen, die etwa das Tragen von Masken bei Demonstrationen verbieten.
Insbesondere junge Menschen werden mobilisiert. In den sozialen Medien nutzen jugendliche Aktivist*innen auch Trends, um auf die Situation in Georgien aufmerksam zu machen. In einem „Get ready with me“, zeigt eine Aktivistin statt Make-Up oder Outfits ihre Demo-Ausrüstung: Lagen von Thermounterwäsche, die in den Dezembernächten warmhalten sollen, sowie festes Schuhwerk, Helm und Gasmaske, die bei eventuellen Auseinandersetzungen auch vor der Polizei schützen sollen. Das Video verbildlicht den bizarrenKontrast zwischen einem „normalen“ Leben mit Mitte zwanzig und dem Alltag vieler junger Georgier*innen momentan.
Für junge, queere, und linke Demonstrierende geht es um alles: Die politischen Entwicklungen deuten auf eine eskalierende Repression oppositioneller Kräfte in den nächsten Monaten hin. Für viele von ihnen entscheidet sich jetzt, ob sie in Zukunft weiterhin in ihrem Land werden leben können. Trotz der in vielerlei Hinsicht entmutigenden politischen Situation und der Gefahr, der sie ausgesetzt sind, geben sie nicht die Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf, sondern gehen jede Nacht unermüdlich dafür auf die Straße.