Wie Hollywood uns die Antike entqueert

von Elora

„ἀλλὰ τί μοι τῶν ἦδος ἐπεὶ φίλος ὤλεθ‘ ἑταῖροςΠάτροκλος, τὸν ἐγὼ περὶ πάντων τῖον ἑταίρωνἶσον ἐμῇ κεφαλῇ“-Homer, Ilias, 18. Gesang, Strophe 80
(Aber wie soll ich mich darüber freuen, jetzt, wo mein geliebter Freund Patroklos tot ist, der mir, unter all den Gefährten, so lieb war wie mein eigenes Haupt?)

Die frühen 2000er erlebten eine Renaissance des Antikfilms – Gladiator, Troja, und 300 sind da nur die erfolgreichsten Beispiele. Briten und Amerikaner in den Rollen von Griechen und Römern, eine gute Portion Epos und CGI (Computer-Generated Imagery / computergenerierte Bildeffekte), ein gewisses Maß Freizügigkeit und „Exotik“ stellten ein Milliardenrezept dar. Nach 40 Jahren war ein Genre wieder zum Leben erwacht – doch hatte es sichverändert?

Als Person, die sich intensiv mit den Schriften und Überlieferungen des Altertums beschäftigt hat, kann ich mich nur immer wieder darüber wundern, wie unglaublich straight die allgemeine Repräsentation und Wahrnehmung der Antike ist. Das liegt nicht zuletzt an den Filmen. Immer wieder werden in ihnen queere Geschichten abgeschwächt und ignoriert. Das prägnanteste Beispiel ist für mich der Film Troja aus dem Jahr 2004. Brad Pitt spielt darin die wichtige Rolle des Achilleus, der im Film als Protagonist inszeniert wird. Sein Zorn ist auch im Originaltext, der Ilias von Homer, Dreh und Angelpunkt der Geschichte. Was allerdings in Wolfgang Petersens 2 ½ Stunden Epos keinen Platz hat, ist die Beziehung zwischen Achilleus und seinem Kindheitsfreund und Kampfgefährten Patroklos. Dieser wird im Film schlichtweg zu Achilleus‘ jüngerem Cousin gemacht und ist auch kaum präsent, sodass der Rachefeldzug, zu dem nach seinem Tod losgezogenwird, seltsam unmotiviert erscheint.

2011 wurde dieser Teil der Ilias in Madeleine Millers Roman „Das Lied des Achill“ neuinterpretiert. Achilleus und Patroklos werden hier als homosexuelles Paar dargestellt, dessen Liebesogar über den Tod hinausreicht – zumindest ein Fortschritt. Doch auch dieses, in seinem Grundsatz sehr erfrischende Werk, zwängt sich in eine Kategorisierung, die der antiken Realität nicht gerecht wird.

Obwohl die Begriffe „homo-“ und „heterosexuell“ sich aus dem Griechischen ableiten (gleich bzw. entgegengesetzt), sind diese Konzepte in vorchristlicher Zeit nicht etabliert. Sexuelle und romantische Kontakte mit verschiedenen Geschlechtern waren zumindest für Männer weitestgehend unproblematisch. Relevant war nur das konkrete Verhältnis, in dem die beiden Personen zueinanderstanden. Dabei wurde zwischen aktivem und passivem Part unterschieden, häufig gab es außerdem einen Altersunterschied. Eine enge, sexuelle wie intellektuelle Beziehung zu einem anderen Mannzu führen und nichtsdestotrotz später eine Familie mit einer Frau zu gründen, war in einigen Kreisen die Norm. Im Militär wurde es sogar als vorteilhaft angesehen, wenn die (größtenteils verheirateten) Soldaten Liebschaften miteinander hatten. Besonders stark ausgeprägt war dies im Berufsheer Spartas. Die antike Lebensweise lässt sich also am ehesten auf dem Bi-/Pan-Spektrumeinordnen, das heute auch nach über 100 Jahren Arbeit an queerer (Wieder-)Befreiung häufig unter„Bi-Erasure“ leidet.

Denn mit dem Christentum breitete sich ein System über die Welt aus, das Menschen nicht nur fest in den Kategorien von männlich und weiblich, sondern auch von rein hetero- und rein homosexuell sieht. Wie sollte es auch anders möglich sein, eine dieser beiden Varianten zu verfolgen? Heutzutage fällt es uns häufig immer noch schwer, uns Liebe ohne diese Kategorien vorzustellen. Genauso findet sich, wenn gleichgeschlechtliche Liebe dargestellt wird, fast immer auch eine Kritik daran, wie wir sie aus heutigen Coming-Out Dramen kennen. So zeigt beispielsweise Achilleus‘ Mutter Thetis in Millers Roman eine tiefe Abneigung gegen Patroklos und will die Beziehung, die sowieso eher im Schatten geführt wird, am liebsten beendet sehen. Gleichzeitig ist ein immerwieder aufkommendes Motiv der Handlung die Anfechtung, die ihre Liebe durch den sexuellen Kontakt zu einer Frau erhalten könnte. Für Platon und seine Zeitgenossen war es dagegen kein Widerspruch, dass die zwei größten Motivationen Achilleus‘ in der Ilias einerseits der Entzug der (im wahrsten Sinne des Wortes) eroberten Briseis durch Agamemmnon und andererseits der Tod des Patroklos sind.

Oliver Stones gefloppter Film „Alexander“ stammt ebenfalls aus dem Jahr 2004, und auch hier wird die tragische Geschichte eines blonden Kriegers der griechischen Antike erzählt. Diesmal wird allerdings die Beziehung zwischen ihm und seinem Gefährten Hephaistion zumindest thematisiert,wie auch allgemein die Sexualität Alexanders des Großen, die sich im Film auf mehrere Geschlechter bezieht. Gerade die Liebesbeziehung zwischen Alexander und Hephaistion wird aber, im Gegensatz zu seiner Ehe zu Roxane, frustrierend unklar gelassen – ziemlich sicher als Reaktion auf Proteste aus Griechenland.

Vielleicht passt aber auch einfach das, was heute ein Antikfilm ist und nicht mit dem zusammen,was die Antike war.

Denn jeder Film braucht eine Identifikationszielscheibe, und diese richtet sich nach der Zielgruppe. Wenn der Mädchenschwarm Brad Pitt in „Troja“ Achilleus spielt, dann ist er ein eigenwilliger Held mit harter Schale, weichem Kern und weiblichem Love Interest. Und wenn durchtrainierte Männer in 300 aufmarschieren, dann ziehen sie ihre Stärke und Motivation rein aus der Beziehung zu ihrer Frau. Vielleicht ist „Alexander“ auch (aber wahrscheinlich nicht nur) deshalb gefloppt, weil er versuchte, etwas darzustellen, das selbst 20 Jahre später noch nicht wirklich wieder in der Gesellschaft angekommen ist – sexuelle Fluidität und Begehren ohne Geschlecht. Er markierte den Anfang vom Ende des kurzen Wiederaufblühens der Antikfilme.

Jetzt sollen mit „Gladiator 2“ und „Cleopatra“ erneut Filme anlaufen, die ihren Schauplatz in der (diesmal eher römischen) Antike haben. Gerade in Denis Villeneuves „Cleopatra“ gäbe es dabei das Potenzial, die sexuelle Realität der Antike endlich einmal akkurat darzustellen. Die beiden Caesaren Gaius Julius Caesar und Gaius Octavianus (besser bekannt als Augustus) werden nämlich wichtige Rollen spielen, und von beiden sind sowohl homo- als auch heterosexuelles Verhalten überliefert. Wir werden also sehen, ob die Zeit langsam reif ist, die Antike in ihrer Diversität etwas mehr so darzustellen, wie sie wirklich war.

Zum Weiterlesen:
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/sexualgeschichte-homosexualitaet-und-maennlichkeitim-antiken-rom
https://www.greelane.com/de/geisteswissenschaften/geschichte–kultur/homosexuality-in-ancientrome-4585065